Träume vom großrussischen Imperium

■ Für den Chef der „Liberaldemokratischen Partei Rußlands“, Wladimir Schirinowski (47), der von sich behauptet, kein Faschist zu sein, ist der Wahlerfolg vom Sonntag nur ein Etappenziel auf dem Weg zum Präsidentenamt

Noch drei Tage vor den Parlamentswahlen hatte die Partei „Rußlands Wahl“ vor der „Liberaldemokratischen Partei“ (LDPR) des „russischen Hitler“ gewarnt. Hatte versucht, die anderen demokratischen Parteien dazu zu bewegen, gemeinsame Kandidaten in jenen Wahlkreisen aufzustellen, in denen ein Sieg Wladimir Schirinowskis erwartet wurde. Doch die Anstrengungen kamen zu spät. Die ersten Wahlergebnisse aus dem Fernen Osten zeigten, daß die LDPR „Rußlands Wahl“ hinter sich gelassen hatte. Doch damit ist für Schirinowski nur ein Etappenziel erreicht, nun strebt er das Amt des Staatspräsidenten an. 90 Prozent der Stimmen würde er – nach eigenen Angaben – bei dieser Wahl erhalten.

Noch bis zu Beginn des Wahlkampfes hatten Meinungsumfragen die LDPR bei 8 Prozent gesehen. Dann aber besetzte der 47jährige Jurist die Wahlsendungen der Fernsehanstalten. Nach ersten Analysen wurde er bei der Zahl der gekauften Fernsehminuten nur von der Regierungspartei übertroffen. Massenveranstaltungen fanden in allen größeren Städten Rußlands statt. Sein Hauptthema: drastische Maßnahmen gegen den illegalen Handel, Wohlfahrt für alle. „Wir werden Standgerichte schaffen und die Führer der kriminellen Banden hinrichten“ und: „Die Juden sind verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg, aber bisher ist es ihnen nicht gelungen, die Weltherrschaft zu erobern.“

Offiziell trat Schirinowski im Wahlkampf für ein Mehrparteiensystem ein. In den vergangenen Monaten jedoch hatte er immer wieder deutlich gemacht, nicht nur für die „Wiedererrichtung der Sowjetunion unter russischer Oberhoheit“, sondern auch für eine Einparteien- beziehungsweise Einpersonenherrschaft zu sein.

Den Vorwurf, ein „Faschist“ zu sein, weist Schirinowski weit von sich. „In unserem Programm gibt es kein einziges faschistisches Element. Ich bin in allen Dingen moderat. Nur in Fragen der russischen Staatlichkeit gebe ich nicht nach.“

Die Wähler Schirinowskis sind die Verlierer der Reformpolitik der russischen Regierung. Arbeitslose, schlecht Ausgebildete, Offiziere der Armee, die Soldaten der ukrainisch-russischen Schwarzmeerflotte. Männer zwischen 25 und 40, die seine Träume von einem großrussischen Imperium teilen; die Bewohner des russischen Nordens und aus Fernost, Gebiete, die aufgrund ihrer Witterungsverhältnisse von der Sowjetregierung stets subventioniert wurden und nun ohne die Moskauer Gelder auskommen müssen.

Nach seinem Wahlerfolg schlug Schirinowski am Montag zunächst gemäßigte Töne an und erklärte sich zur Zusammenarbeit mit Präsident Jelzin bereit. Sollte es rechnerisch möglich sein, eine Koalitionsregierung gemeinsam mit den Kommunisten und der Agrarpartei zu bilden, so würde sich die LDPR dazu nur unter Zwang bereit erklären. Und einen hohen Preis fordern: „Wir beanspruchen das Verteidigungs-, das Sicherheits- und das Innenministerium.“ Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation hat das Ansinnen der LDPR jedoch bereits zurückgewiesen. Und das, obwohl KP-Chef Genadi Sjuganow bei der sonntäglichen Wahlfeier im Kreml gemeinsam mit Schirinowski an einem Tisch gesessen hatte. Sjuganow am Montag: „Wir haben keine gemeinsame Basis mit denjenigen, die eine russische Expansion bis an die Grenzen der früheren Sowjetuniuon anstreben.“

Ein Angebot zum „Schulterschluß“ kam dagegen aus einer ganz anderen Richtung. Der Vorsitzende der rechtsextremen Deutschen Volksunion, Gerhard Frey, wertete in einem Glückwunschtelegramm an Wladimir Schirinowski den Sieg der LDPR als „Fanal“ für eine Zusammenarbeit zwischen den „beiden großen Völkern des Abendlandes, zwischen Deutschen und Russen“. Niemals wieder solle es gelingen, so Frey, „diese beiden im Grunde so seelenverwandten Nationen mit einer Fülle gemeinsamer Interessen und einer herrlichen Geschichte gemeinsam erfochtener Erfolge gegeneinander zu hetzen“.

Zur Erklärung seines politischen Werdegangs hebt der aus einer Juristenfamilie in Alma Ata stammende Offizier in seiner Autobiographie seine „unglückliche Kindheit“ hervor: „Ich wuchs auf in einer Welt, in der es keine Wärme gab, nicht von meinen Eltern, nicht von meinen Freunden, nicht von den Lehrern. Ich fühlte mich überflüssig.“ Das „Schicksal“ Adolf Hitlers hätte er damit jedoch nicht zwangsläufig teilen müssen. Schirinowski wäre Rußland erspart geblieben, wenn er nur „eine liebende Frau“ gefunden hätte. „Dann hätte ich auf sie den Großteil meiner Energie konzentriert.“ Sabine Herre, Moskau