Faschisten in Rußlands Reformhaus

■ Ein Debakel für die Reformer / Rechtsradikale stärkste Fraktion / Verfassung knapp angenommen

Moskau (taz/dpa/AFP) – Auch wenn der Verfassungsentwurf Präsident Jelzins mit einer knappen Mehrheit angenommen wurde, erlitten die mit ihm verbündeten Reformpolitiker bei den ersten freien Wahlen in Rußland eine vernichtende Niederlage. Nach offiziellen Schätzungen war die Partei des rechtsradikalen Chauvinisten Wladimir Schirinowski in 17 der 89 Regionen Rußlands mit rund 23 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Schirinowski, der in Deutschland mehrmals bei Versammlungen der rechtsradikalen DVU aufgetreten ist, feierte das Abschneiden seiner Partei gestern morgen als „totalen Sieg“. Weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz landete den Schätzungen zufolge das Reformerbündnis „Rußlands Wahl“ von Vize-Regierungschef Jegor Gaidar mit knapp 14 Prozent vor den Kommunisten mit rund 11 Prozent der Stimmen. Diese Schätzungen basierten auf rund zwei Millionen Stimmen der knapp 56 Millionen Wähler. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten ließ sich allerdings nicht an den Urnen blicken.

Lange war unklar, ob die für die Gültigkeit des Verfassungsreferendums notwendige Beteiligung von 50 Prozent der Wahlberechtigten erreicht würde. Deren Zahl war anfangs mit 107 Millionen angegeben worden, nach den „bereinigten“ Angaben der Kommission von gestern waren aber nur rund 105 Millionen Russen wahlberechtigt. Gestern gab die Wahlkommission offiziell bekannt, daß die Beteiligung bei 53,2 Prozent gelegen habe und „rund 60 Prozent“ für die Verfassung gestimmt hätten. Nach Berechnungen von AFP auf Grundlage der Angaben der Wahlkommission lag die Zustimmung jedoch nur bei 52,4 Prozent.

Nach den amtlichen Schätzungen konnten in 17 Regionen vier weitere Parteien die Fünfprozenthürde überwinden: die konservative Agrarpartei mit 7,7 Prozent, die reformorientierte Frauenunion mit 9,78 Prozent, die Koalitionen der Reformer Sergej Schachrai und Grigori Jawlinski mit 6,5 beziehungsweise 6,49 Prozent.

Die besten Ergebnisse erzielten die rechtsradikalen Liberaldemokraten mit 34,77 Prozent in der fernöstlichen Region Sachalin, die gegen die von Jelzin in Aussicht gestellte Rückgabe der Kurilen-Inseln an Japan ist, und in der Industrieregion Smolensk. Dort stimmten 32,86 Prozent für die Neofaschisten und 15,60 Prozent für die Kommunisten. „Rußlands Wahl“ erzielte offenbar ihr bestes Ergebnis in dem Autonomen Gebiet Taimir im Norden des Landes.

Der Wahlsieger Schirinowski erklärte nach Angaben der Nachrichtenagentur ITAR-TASS, es sei nun die Aufgabe der anderen Parteien, sich mit seiner Formation zu einigen. Zu seinen außenpolitischen Zielen erklärte Schirinowski, er wolle die Grenzkontrollen zu den Baltenrepubliken und dem Kaukasus verstärken. Außerdem sollten die Beziehungen zu Indien, den arabischen Ländern, besonders dem Irak, und Deutschland verbessert werden. Die von Japan beanspruchten Kurilen-Inseln sollten unter russischer Souveränität bleiben.

Wirtschaftsminister Gaidar machte die Zerstrittenheit der Reformbefürworter für deren schwaches Abschneiden verantwortlich. Er verglich die Lage in Rußland mit der Situation Deutschlands in den dreißiger Jahren. Während der Wahlsieg Schirinowskis, der sich in der Vergangenheit für ein Rußland in den Grenzen des Zarenreichs ausgesprochen hat, in den baltischen Staaten und anderen inzwischen unabhängigen Sowjetrepubliken mit großer Besorgnis aufgenommen wurde, gratulierte der deutsche Rechtsradikale Dr. Gerhard Frey seinem Kameraden im Geiste: „Unsere gemeinsamen Hoffnungen haben sich erfüllt.“ Schirinowskis Triumph sei „ein Fanal auch zum Schulterschluß der beiden größten Völker des Abendlandes, der Russen und der Deutschen“. Seiten 2, 3 und 10