Sinnstiftender Text zum Zerfall

■ Ilya Kabakovs Installation NOMA in der Kuppel der Kunsthalle Von Hajo Schiff

Zwölf alte Betten samt Nachttischen aus Hamburger Krankenhäusern stehen in ebensovielen abgeteilten Segmenten des bis auf eine zentrale Lichtöffnung dunkel abgehängten Kuppelraumes der Kunsthalle. Im Schein trüber Bürolampen sind kyrillische Texte, Kopien, mal eine Zeichnung und einige Fotos an den Wänden zu sehen: das ist alles, was es zu sehen gibt, bei der Installation von Ilya Kabakov in der Kunsthalle. Er gilt aktuell als der international erfolgreichste russische Künstler, seine eindrucksvollen Inszenierungen auf der dokumenta IX und der 45. Biennale waren vielbeachtet.

Trotz aller Anerkennung ist der Star, der seit fünf Jahren in New York lebt, sehr zurückhaltend geblieben, ist nervös und unsicher über die Wirkung seiner Arbeit, die er immer wieder fehlinterpretiert sieht. In Hamburg hat er in der Rolle eines Künstler-Kurators in zweieinhalb Wochen intensiver Arbeit NOMA, seinen Moskauer Freundeskreis der 70er und 80er Jahre, in Szene gesetzt. „Anstelle des Künstler-Schöpfers steht ein Registrator, der ein „großes Archiv“ zusammenstellt“, gibt ein Satz auf einem Podest Hinweise zur Rezeption. „Ein Kommentar (kann) wesentlich tiefer, interessanter und kreativer sein, als ein Gegenstand“ ist an anderer Stelle zu lesen.

Diese Haltung brachte dem hier angesprochenen Künstlerkreis NOMA die Bezeichnung als „Moskauer Konzeptualisten“ ein. Kabakov beleuchtet im direkten Sinne des Wortes diese, in vielem noch aktuelle Szene. Er inszeniert die Atmosphäre, betrachtet die Installation als Versuchanordnung (er spricht von einem „Synchrotron“) zur Darstellung der Energien, die der unendliche Diskurs zwischen sozialem Umfeld und individueller Innerlichkeit erzeugt und die letztlich zum zentralen Licht führt. Diese Lichtmystik erscheint als Echo der orthodoxen Religion Russlands, und schon ist auch Kabakov wieder eingespannt in die Klischee-Vorstellungen des „ewigen Russland“, wie sie auch in den goldenen Ikonen zitiert werden, die die NOMA-Teilgruppe „Inspektion medizinische Hermeneutik“ im Kunstverein aufgehängt hat.

Unbestreitbar ist in Russland die seit langem überdurchschnittlich hohe Wertschätzung der Sprache, der Dichter, der Literatur auf allen Ebenen. So ist auch NOMA vor allem literarisch. Iosif Bakstein, heute Direktor des Instituts für moderne Kunst in Moskau, hat Maschinenbau und Philosophie studiert, Boris Groys lehrt Philosophie an der Universität Münster, Andrej Monastyrski ist Redakteur und befaßt sich mit poetischen Lautkompositionen, Bibliothekar und Philosoph Lew Rubinstein mit seriellen Textkompositionen, Wladimir Sorokin ist Ingenieur und Schriftsteller, Vadim Zakharov ist Herausgeber der Kölner Zeitschrift „Pastor“.

„Mein Kriterium, ob jemand zu NOMA gehört oder nicht, ist seine Neigung zur unaufhörlichen allseitigen Erörterung jedes beliebigen Problems...“ sagt Kabakov. Bei diesen Raubzügen aus der Meta-ebene in alle Bereiche des Lebens entstand nicht weniger als der sinnstiftende Text zum Zerfall eines ganzen Imperiums. Es geht also nicht mehr um Werke, sondern um künstlerische Felder.

Der unabgegrenzte, universale Anspruch findet im düsteren Lager-Kreis und der leeren Mitte der lichten Kuppel seine quasi-religiöse Formung. Er schlüpft in die Hülle tempelhafter Architektursprache und wird so den Weihestätten der großen französischen Revolution von vor 200 Jahren vergleichbar. Das in mancher Hinsicht wahnhafte System der UdSSR wird so im Detail aufgehoben und gleichzeitig auf der Würde der Vision bestanden.

Für den Westen ist mit dem Ende des Sowjetimperiums eine ferne aber mächtige Projektion verlorengegangen. „Wieviel Prozent der russischen Bevölkerung leben in Toiletten?“ war die Hauptfrage an die als Ethnologie mißverstandene Installation Kabakovs auf der letztjährigen dokumenta, die eine Wohneinrichtung in einem Toilettenhäuschen bewahrte. Auf der Biennale gestaltete er den zaristischen Ausstellungspavillion als chaotische Baustelle mit Sowjetkunst als buntes, liebes Gartenhäuschen: traumhaft sicheres Gesamtkunstwerk zum Zustand der Nation oder gar Abbild des regierungsseitig geprägten Neuworts vom europäischen Haus.

NOMA ist in der Reihe von Kabakovs Installationen nun die am konkretesten biographische und doch die am wenigsten dinghafte. Die spezifische Sprache dieses Kommunikationskreises hat einen geradezu heilsgeschichtlichen Aspekt: durch die Kunst ins Licht zur Erlösung der Menschheit, der Künstler zumindest.

Kunsthalle bis 6.Februar.

Katalogbuch mit Texten über/von allen 12 gezeigten NOMA-Künstler-Literaten in deutsch und russisch: 28 Mark.