piwik no script img

Machtkampf um die Kantine

■ Wohnschiff-Flüchtlinge im Hungerstreik sollen Essensraum verlassen / Räumung mehrmals verschoben / Verhandlungen ergebnislos  Von K. Kutter

Räumen sie, räumen sie nicht? Stundenlanges Warten gestern für die Unterstützer der Hungerstreikenden und die Journalisten vor den Wohnschiffen in Neumühlen. Vier Tage nach Beginn des Hungerstreiks von 28 Flüchtlingen war die Lage auf der „Floatel Altona“ gestern sichtlich gespannt.

Morgens um halb zehn, so berichtete die hungerstreikende Algerierin Ghania Boudenagh, hätte das Bordpersonal die Gruppe aufgefordert, die Kantine binnen einer Stunde zu verlassen. Andernfalls käme die Polizei. Als Alternative sei ihnen ein Raum im Keller angeboten worden. Für die Flüchtlinge, die gegen ihre geplante Abschiebung protestieren, nicht akzeptabel. „Wir haben zwei Kranke dabei, die können nicht treppensteigen“, begründet Boudenagh die Ablehnung. Außerdem würde mit dem Auszug aus der Kantine das Minimum an wohnschiffinterner Öffentlichkeit entfallen. Besucher und Vertreter der Presse dürfen seit Tagen nicht mehr an Bord.

„Wir haben die Bewohner aufgefordert, die Kantine zu verlassen, weil wir sie brauchen“, bestätigt Sozialbehördensprecherin Christina Baumeister. Die Flüchtlinge hätten gesagt, sie wollten es sich überlegen. Diese Entscheidung warte man nun ab. - Gegen Mittag dann statt Polizei-Aufgebot eine Verhandlungsdelegation der Behörde. Neben Herrn Bösenberg, dem Leiter der Hamburger Außenstelle des Bundesamts für Flüchtlinge, erschien Herr Nautsch vom Amt Pflegen und Wohnen, das das Hausrecht an Bord hat. Mit dabei auch die GAL-Politikerin Anna Bruns, die bereits am Tag zuvor die Flüchtlinge besucht hatte und eine erneute Überprüfung aller abgelehnten Asylanträge fordert.

Die fast zweistündigen Verhandlungen blieben ohne Ergebnis. Während Nautsch das Angebot machte, die einzelnen Fälle noch einmal von den Sozialarbeitern sortieren zu lassen und zu prüfen, ob Folgeanträge gestellt werden können, kam der Leiter des Bundesamts mit leeren Händen. Es gebe nur noch Spielraum bei jenen Asylbewerbern, die noch nicht bei der Anhörung waren, soll Bösenberg nach Ohrenzeugenberichten den Flüchtlingen gesagt haben. An die Akten der übrigen komme er nicht mehr heran. Die lägen schon bei den Gerichten.

Die Flüchtlinge, die nach eigenen Angaben bis zu 20 Jahren Gefängnis in ihren Heimatländern befürchten, nutzten die Gelegenheit, um über Anna Bruns von ihren Erfahrungen mit dem Bundesamt zu berichten. So war von drei Algeriern einer als „begründet“ und zwei als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft wurden, obwohl alle zur gleichen Zeit aus dem gleichen Grund nach Deutschland geflüchtet waren und diese Gründe bei der Anhörung auch ausführlich geschildert hätten.

Die angebotene Einzelüberprüfung durch die Sozialarbeiter sei nicht akzeptabel, „wir wollen uns nicht sortieren lassen“, sagte ein Vertreter der Gruppe am späten Nachmittag den durchgefrorenen Journalisten. Nach wie vor würde mit Polizei gedroht, „damit wir die Kantine verlassen“.

„Wir wollen eine solche Eskalation in jeden Fall vermeiden“, beteuerte hingegen Christina Baumeister. In den Verhandlungen sieht sie allerdings nicht viel Sinn: „Es gibt keine Lösung, weil die Sozialbehörde nicht bundesdeutsches Asylrecht ändern kann.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen