■ Neulich...
: ...mitten im Nichts

Ich weiß nicht, ob Sie stark genug sein werden, mir zu glauben. Ich weiß nur, daß ich den Menschen mein Erlebnis mitteilen muß, solange noch Zeit ist. Es war am vergangenen Donnerstag. Spätnachts kam ich zu Hause angekrochen und hatte nur noch den Wunsch, vor der Glotze zu verdämmern. Schon war sie angestellt, schon herrschte buntes Treiben, irgend eine Versteigerung im Freien, aus mehreren Lautsprechern quakte der Auktionator quer über den Platz; na, dachte ich, mal schaun, was andere Sender noch so vorrätig haben. Das letzte, was ich mitkriegte, war der Ruf „Achtzigtausend Pfund sind geboten! Achtzigtausend Pfund!“ - und schon war ich im nächsten Programm, wo gerade ein alter Schwarzweißfilm lief; da trat ein kleiner dicker Mann ans Fenster und sagte fassungslos: „Was? Achtzigtausend Pfund?“

Wissen Sie, ich werde nie wieder ein normales Leben führen können. In rasender Eile überlegte ich, was ich jetzt alles durcheinandergebracht haben könnte. Probehalber schaltete ich noch einmal zurück: Da war tatsächlich noch immer die Versteigerung in Gang, und der Auktionator quakte noch immer aus den Lautsprechern; und im andern Programm lief noch immer der alte Schwarzweißfilm. Es ging darin um eine Erbschaft in Höhe von achtzigtausend Pfund, wie sich nun zeigte. Da wurde mir eisig kalt ums Herz, und ich notierte mir für alle Fälle die Uhrzeit: Siehe, es war 23.27 Uhr. Aus der Programmzeitschrift erfuhr ich, daß auf RTL 2 seit 22.15 Uhr der amerikanische Spielfilm „Das Mädchen auf der Schaukel“ ausgestrahlt wurde, auf Arte hingegen seit 22.45 Uhr der Film „Zeugin der Anklage“, übrigens von Billy Wilder.

Soviel zur Welt der Tatsachen; aber Sie werden verstehen, daß diese Welt mir ziemlich gleichgültig geworden ist. Tag für Tag sitze ich nun vor den Grundfesten des Abendlandes, und ich sehe sie nicht mehr. All die Jahrtausende hindurch durften wir uns darauf verlassen, daß die Dinge getrennt waren, ein jedes auf seinem Platz. Es gab den einen Film, und es gab den anderen Film. Nun aber, da Billiarden von Filmen zugleich in unserer Welt herumzirkulieren, wird womöglich aus all dem Schrott unversehens eine neue, eine höhere Vernunft geboren.

Es schaut nicht gut aus für unsereinen. Wir müssen feststellen, daß die Dinge hinter unserem Rücken schon angefangen haben, miteinander zu reden. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich vollends über uns lustig machen. Stellen Sie sich vor, sie knallen auf dem Weg vom Fernseher zum Klo gegen den Türrahmen, und John Wayne ruft Ihnen aus dem ZDF häßliche Worte nach, und Mutter Beimer im Ersten sagt: „Aber John, das kann doch jedem passieren!“, und in SAT 1 kreischt Hella von Sinnen: „Aber nicht jeder schaut so blöd dabei aus!“. Und auf allen Kanälen lachen sie Tränen.

Manfred Dworschak