Bauen, Wohnen, Hören etc.
: Heimanlage statt Piazza

■ Eine CD gewinnt in Stuttgart die Ausschreibung zu Kunst am Bau

Mit Kunst am Bau ist es ja so eine Sache. Laut Gesetz müssen bei jedem Bauvorhaben der öffentlichen Hand ein bis zwei Prozent der Gesamtkosten für Kunst reserviert werden. Wer dann welches Gebäude wie verschönern darf, entscheidet eine an sich hochgradig befangene Jury: die Bauherren, die Architekten und Vertreter der Kommune. Gewagt wird da kaum einmal etwas.

Daß es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus Stuttgart: Seit Ende November ist die Musikinstrumentensammlung des dortigen Württembergischen Landesmuseums in einem eigenen Haus untergebracht. Nach dreieinhalbjährigem Umbau konnte der sogenannte Stiftfruchtkasten am Schillerplatz bezogen werden – ein mittelalterliches, 1944 zerstörtes und zehn Jahre später wieder originalgetreu aufgebautes Lagerhaus, das jetzt noch einmal für 5,5 Mio. Mark umgestaltet wurde.

Anstatt nun wie üblich ein mehr oder minder monumentales Werk in die bestehende Architektur zu integrieren, haben die beiden in Berlin lebenden Künstler Susanne Stövhase und Wieland Bauder mit ihrem preisgekrönten Entwurf Neuland betreten. Ihre Variante von Kunst am Bau kann jeder mit nach Hause nehmen – sofern er 65 Mark dafür ausgeben möchte. Soviel nämlich kostet die CD, die das Künstlerduo für den Stiftfruchtkasten hat produzieren lassen. Die Musiker Lars Rudolph, Mayo Thompson und Barnaby O'Rourke waren eingeladen worden, mit historischen Instrumenten wie Stimmgabelklavier, Landsknechttrommel oder Kavallerietrompete ins Studio zu gehen. Herausgekommen ist eine CD mit 21 Stücken der verschiedensten Stilrichtungen: Lars Rudolph zählt mit seiner Band Stan Red Fox zum Berliner Funk- und Free-Jazz-Urgestein, der gebürtige Texaner Mayo Thompson war Mitglied der Concept-art-Gruppe Art & Language und produzierte in den achtziger Jahren Bands wie The Fall, Felt und Pere Ubu. Der Engländer Barnaby O'Rourke wurde bekannt durch die Kombination von experimenteller Musik und Tanzperformances.

Kunst am Bau als Konserve für den heimischen CD-Spieler – mit diesem Konzept reagiert die Arbeit von Stövhase und Bauder auch auf eine veränderte, von der neueren Medientheorie vertretene Vorstellung des Begriffs von Öffentlichkeit. Demnach erfüllen sich die Funktionen des öffentlichen Raumes – Information, Diskussion und Meinungsbildung – nicht mehr auf der klassisch verstandenen „Piazza“, sondern, dank elektronischer Medien, in privaten Haushalten. Zwar gehört das Weltbild aus der Steckdose in Fachkreisen längst zum Handwerkszeug, doch hat sie im eher drögen Kunst-am-Bau-Alltag bislang keine Rolle gespielt.

Die Verbreitung der CD (Auflage: 1.000 Stück) wollen Stövhase und Bauder – ganz im Sinne der Konzept-Kunst – als eine Art imaginäre Skulptur verstanden wissen. Mit jedem neuen Käufer breitet sich diese Skulptur weiter aus und verformt sich. Was einige Vorteile mit sich bringt: Hier ist Kunst am Bau nicht mehr, wie so oft, ästhetischer Ersatz für eine defizitäre Architektur. Die Passanten und Besucher des Museums können sich nicht mehr auf die ihnen zugewiesene passive Konsumentenrolle verlassen, sondern im besten Falle werden sie aus der Reserve gelockt und schließen sich dem von Stövhase und Bauder in Aussicht gestellten Netzwerk an.

Denn der Erlös aus dem Verkauf der CD soll dazu dienen, in Zukunft weitere Tonträger zu produzieren, so daß sich dieses Projekt möglichst aus eigener Kraft trägt. Da das Multiple mitsamt seinem poppig aufgemachten Pappfolder im Museumsshop in einem eigenen transparenten Metallregal ausliegt, kann der aktuelle Stand der Verteilung jederzeit überprüft werden. Ulrich Clewing

Bauder und Stövhase: „Kunst am Bau für das Württembergische Landesmuseum“, mit Barnaby O'Rourke, Lars Rudolph und Mayo Thompson. Die CD kostet 65 DM und kann direkt bei der Pressestelle des Museums, Am Schillerplatz in 70173 Stuttgart, bestellt werden.