Geschichte von allen Seiten zeigen

■ Die Ausstellung "München, Hauptstadt der Bewegun" versucht eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Ira Diana Mazzoni sprach mit der Ausstellungsmacherin Brigitte Schütz über Probleme der musealen ...

taz: Sie setzen in Ihrem Ausstellungskonzept auf die Inszenierung von historischen Requisiten und zeigen Gegenstände, die in keiner öffentlichen Sammlung vorhanden sind, aber von Neonazis kultisch verehrt und gesammelt werden. Welche Funktion haben diese Objekte für Ihr Projekt?

Schütz: Die meisten bisherigen Ausstellungen zum Nationalsozialismus haben meiner Erfahrung nach sehr unsinnlich argumentiert. Ich dagegen fragte mich: Was war mit den Menschen, die dieses System gestützt haben – willentlich, unwillentlich, mit Widerwillen –, die aber weder in die Kategorie der eindeutigen Täter noch der Opfer gehören? Es muß doch irgend etwas gegeben haben, das die Mehrheit beschäftigt und angesprochen hat. Was war das? Ich möchte diesen historischen Erfahrungen nachgehen und sie in ihrer Ambivalenz nachvollziehen.

Inwieweit wird Geschichte nacherlebbar, wenn unzählige Uniformen, Waffen, Standarten und Plakate Revue passieren und die Alltagsgeschichte eher marginal abgehandelt wird? Welche Erfahrung wird dadurch vermittelt?

Ich habe den Titel der Ausstellung, „München, Hauptstadt der Bewegung“, so vorgefunden und lange darüber nachgedacht, ob ich das Projekt unter dieser Bedingung überhaupt machen will. Die Aufgabe war, herauszufinden, worin die Besonderheit Münchens bestand, welche Ereignisse und Prozesse hier zur Entwicklung des Nationalsozialismus geführt haben. Mir war klar, daß es mentalitätsgeschichtliche Faktoren gibt, die den ganz normalen Bürger betreffen, der damals in diesem politischen Umfeld gezwungen war zu reagieren. Faktoren also, die unbedingt dazugehören.

An zentraler Stelle haben Sie ein ziemlich spießiges Münchner Eß-/Wohnzimmer eingerichtet. Durch die beiden Fenster dieser guten Stube blickt man auf der einen Seite auf eine Straße, wo gerade die SA-Verbände aufmarschieren, und auf der anderen Seite auf das Konzentrationslager Dachau. Wollen Sie damit andeuten, die Leute hätten 1933 sehr wohl gewußt, was geschah?

Das ist für mich nach wie vor eines der größten Rätsel. Warum hat man diesen Zeitpunkt verpaßt? Es waren ja nicht nur „die anderen“, die „Kommunisten“, die 1933 in sogenannte Schutzhaft kamen, sondern auch Bürger der „besseren, einflußreichen Gesellschaft“. Natürlich verstehe ich die Einschüchterung durch den Terror von SA, SS und „Stahlhelm“, die 1933 als Hilfspolizei von Himmlers bayerischer politischer Polizei agierten. Aber warum eine Mehrheit zu diesem Zeitpunkt geschwiegen hat und in vorauseilender Angst gar nicht erst versucht hat, Widerstand zu leisten, das weiß ich nicht. Und das versuche ich auch als Frage auf heute zu übertragen: Wann ist der Moment gekommen, wo einem Geschichte aus der Hand genommen wird, weil sich die Machtstrukturen in einer Richtung verfestigt haben?

Die Objekte in Ihrer Ausstellung stammen überwiegend aus privater Hand. Verhilft das Museum solchen Sammlern, die teilweise ganz eigene, auch politische Gründe für das Bewahren der Reichskriegsflagge oder eines SS- Eherings haben, nicht zu einer problematischen Öffentlichkeit?

Die pauschale Distanzierung und die kollektive Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit hat dazu geführt, daß alte Strukturen im verborgenen überleben konnten. Es gibt eine Reihe von Leuten, die sich öffentlich nicht artikulieren, die aber rechtsextreme Aktivitäten steuern. Und die kommen nicht als Skins daher, sondern im Kaschmir- Pullover.

Bei einigen Leihgebern haben wir uns natürlich gefragt: Werten wir bestimmte Personen und Gruppierungen durch die Nennung im Katalog nicht auf? Aber das ist das Dilemma jeder öffentlichen Sammlung. Woher bekomme ich die Objekte? Ich kann auf den Flohmarkt gehen und auf Aktionen, da werden diese Sachen ja gehandelt. Und es gibt auch Privatmuseen dafür. Nur in den öffentlichen Sammlungen, die eine sachliche Auseinandersetzung damit garantieren könnten, gibt es solche Zeugnisse nicht, jedenfalls nicht in Deutschland. Einige Museen sind sogar stolz darauf, solche Objekte nicht zu besitzen. Erst jetzt beginnen Institutionen wie das Deutsche Historische Museum in Berlin und auch das Münchner Stadtmuseum, einiges aus dieser Zeit anzukaufen.

Was die Privatsammler betrifft, bin ich ambivalent. Denn ich muß ihnen ja auch dankbar sein, daß sie unter ihrem Bett Gemälde aufbewahrt haben, die wichtig sind. Gerade auf dem privaten „Markt“ finden Sie Leute, die tausendmal besser informiert sind als sogenannte Fachleute.

Ich finde das verrückt: Es gibt noch viele Gegenstände aus dieser Zeit, und wenn man – wie ich bei den Vorbereitungen zu dieser Ausstellung – sieht, wer sie besitzt, wie sie weitergegeben und zu Ikonen erhoben werden, dann sollte man nicht die Augen davor verschließen. Die Vergangenheit holt uns ein. Warum übernimmt nicht die öffentliche Hand diese Objekte mit dem Auftrag zur Information?

Sie fordern und praktizieren also eine öffentliche Auseinandersetzung mit Nazi-Devotionalien, um diese zu entmystifizieren. Sind aber im Augenblick öffentliche Ausgaben und das Engagement für interkulturelle Initiativen, die Goethe-Institute oder Ausstellungen im Berliner Haus der Kulturen der Welt nicht wichtiger?

Das eine kann das andere nicht ersetzen. Sie können nicht verlangen, daß Geschichte nur bis 1920 oder bis 1933 gesammelt werden darf – ab da haben die Museen dann zu schweigen, und ab 1945 dürfen Sie wieder schauen, was es gab. Man kann nicht so tun, als habe Geschichte nicht existiert. Man muß sie mit allen ihren Seiten und von allen Seiten zeigen.