Johnny Walker kommt nicht mehr

Ausbleibende Asylbewerber stürzen das Geschäft mit den Flüchtlingen in die Krise / In Brandenburg werden Heime geschlossen, Mitarbeiter entlassen  ■ Von Carsten Jasner

Der Asylbewerber als Arbeitgeber. Seit die Grundgesetzänderung die Grenzen versiegelt hat, ist aus der gefürchteten „Asylantenflut“ Ebbe geworden. Im brandenburgischen Eisenhüttenstadt ist das zentrale Aufnahmelager zusammen mit dem Bundesamt und dem angegliederten Asylbewerberheim der zweitgrößte Arbeitgeber. 400 Menschen arbeiten hier. Vor einem Jahr haben hier noch bis zu 600 Asylsuchende täglich auf der Schwelle gestanden. Der Ansturm, sagt Tanja Neumann, stellvertretende Leiterin des Aufnahmelagers, sei kaum zu bewältigen gewesen.

Die benachbarten Heime wurden ausgebaut, Bürocontainer auf den Hof gestellt, neue Mitarbeiter verpflichtet, die Räume renoviert und computerisiert. Heute spielen die Kollegen Skat, und die vielleicht 30 Grenzüberschreiter am Tag sind eine willkommene Abwechslung. Doch wer protestiert gegen die drohende Schließung der Heime, wer geht für seinen Arbeitgeber auf die Straße?

„Name?“ – „Johnny Walker.“ Die fünf Mitarbeiterinnen im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge kichern. Ihr Kollege hinter der Plexiglasscheibe bleibt ernst und tippt „Johnny Walker“ in den Computer. Auch der Amtsfotograf gibt sich ungerührt und lichtet Herrn Walker viermal auf Polaroid ab. In Eisenhüttenstadt sind schon mehrere Johnny Walkers vorstellig geworden. Darüber regt sich keiner mehr auf. Denn ihren Paß, behaupten die Asylbewerber dann immer, hätten sie verloren.

Besonders die Schwarzafrikaner bewiesen bei der Namensnennung viel Phantasie, erklärt Tanja Neumann. Dabei sind Schnapsmarken offenbar sehr anregend. Der da aber heute im Büro sitzt, ist weder schwarz noch Flüchtling, sondern ein weißer amerikanischer Reporter der Detroit Free Press. Er will sehen, wie es Asylbewerbern in Deutschland ergeht, und ist beeindruckt von dem geräumigen Büro, dem frischen Weiß an den Wänden, den eleganten, hellen Schreibtischen und den vielen neuen Computern. Nur will einfach kein neuer Flüchtling kommen. Also spielen sie, er sei einer. Und die Mitarbeiterinnen zeigen ihm genau, mit welchem Formular er nun in welchen Raum gehen muß. Sie haben viel Zeit und freuen sich, daß endlich mal wieder etwas passiert.

Tanja Neumann sieht die Arbeitsplätze hier jedoch nicht akut gefährdet: „Wir kümmern uns jetzt um Dinge wie Heirat und Sterben, um Straftäter und Altfälle. Das reicht für die nächsten ein bis zwei Jahre.“ Andere Asylbewerberheime haben keine Altlasten zu verwalten. Bis zum Jahresende müssen im Land Brandenburg von 159 Heimen rund ein Drittel dichtmachen. Sie alle haben in den letzten Jahren Millionen Mark investiert, Hauswarte, Heimleiter, Betreuer, Dolmetscher und Wachmänner eingestellt. Eine Statistik existiert nicht, doch nach dem vorgeschriebenen Personalschlüssel mußten rund 1.400 Menschen in brandenburgischen Heimen beschäftigt sein.

„Außer dem Sportclub und den Zeugen Jehovas vermißt die hier keiner“, sagt Christine Iffländer, Ausländerbeauftragte im Landkreis Neuruppin. Der Sportclub muß auf einen guten, fremdländischen Fußballer verzichten, die Zeugen Jehovas auf potentielle Wachtürme. Im Sozialamt, das den Asylbewerbern die Stütze auszahlt, sei zwar eine Stelle abgebaut worden, von den Beschäftigten in den Heimen, die nun entlassen würden, sei dem Landratsamt jedoch noch kein Klagefall zu Ohren gekommen.

Im Kreis Neuruppin machen von fünf Heimen drei dicht. Die 1.013 Betten waren zur Hochsaison bestens ausgebucht. Inzwischen hat sich die Nachfrage auf die Hälfte reduziert. Er müsse acht Leute entlassen, sagt Peter Märten, Geschäftsführer einer privaten Firma, die zwei Heime in Neuruppin und eines in Fehrbellin betreibt.

Von Kündigung sei keine Rede, sagt Monika Wollenberg vom Haus eins in Neuruppin. Sie bemüht sich seit einer Stunde, ein weinendes bulgarisches Kind zu beruhigen, das heute zum ersten Mal ohne Mutter zur Kinderstube kam. Im Gegenteil, sagt sie, weil die Sozialhilfe für Asylsuchende jetzt auf Sachleistungen umgestellt wird, werde sie demnächst noch den Laden im Heim einrichten und Lebensmittel verkaufen müssen. Ihre Kollegin, die sich als Wirtschafterin vorstellt, nickt heftig. Und die anderen Sozialarbeiter? „Welche anderen Sozialarbeiter?“ Und der Hausmeister und der Leiter vom gegenüberliegenden Heim? „Gibt's die?“ Frau Wollenberg sendet verschwörerische Blicke. „Die haben wir noch nie gesehen.“ Sie hat Redeverbot; steht in ihrem Vertrag. Wenn sie gefeuert werden sollte, dann wohl nur, weil sie dagegen verstößt, nicht weil sie zuwenig zu tun hat.

Herr Märten sagt, die anderen Sozialarbeiter hätten schon Feierabend. Wie viele hier genau arbeiten, weiß er allerdings auch nicht aus dem Stegreif.

Am anderen Ende der Stadt hat sich die „Kontaktstelle Asylbewerber-Kommune“ eingerichtet im „Zentrum für berufliche Qualifizierung“, einem riesigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Pool. Drei Frauen wollen mit Asylbewerberkindern basteln, den Eltern beim Ämtergang helfen, suchen zuständige Ärzte für die Kleinkinderimpfung. Ihr Projekt hatten sie beantragt, als es dringend benötigt wurde: vor einem Jahr. Genehmigt wurde es absurderweise erst vor drei Wochen. Jetzt sitzen zwei der Frauen etwas verloren um einen keksbeladenen Beistelltisch, eine wühlt in Papieren auf einem Schreibtisch. Ein Jahr noch laufen ihre ABM-Stellen.

Wesentlich besserer Kontakte zu den Immigranten erfreut sich die „Gebrauchsartikelbörse“. 200 Meter von den Neuruppiner Heimen entfernt haben sie ein altes Ziegelgemäuer mit gebrauchten Klamotten vollgestopft. Lederjacken zehn Mark, Krawatten eine, Bademäntel drei, Klammerbeutel vier Mark. „Die Klammerbeutel sind selbst genäht. Gehen sehr gut“, sagte eine der 19 Beschäftigten, alle auf ABM-Basis. Ein Zehntel der Kunden sind Asylbewerber. „Einige halten sich hier stundenlang auf. Für die ist das ein Freizeitvergnügen.“

Der Asylbewerber als Konsument? Daß in den beiden Neuruppiner Heimen statt früher über 600 jetzt nur noch 200 Bewohner leben, spüren die umliegenden Geschäftsleute. „Wir haben jetzt weniger Ärger mit den Kleidercontainern“, sagt Edda Schröder. Die Heimbewohner hätten sich direkt an den Quellen bedient, die über die ganze Stadt verteilt sind.

Auch der Filialleiter von „Massa mobil“ hat gemerkt, daß in seinem Supermarkt inzwischen weniger Flüchtlinge unterwegs sind. Jetzt sei wieder „Ordnungsmäßigkeit gewährleistet“, sagt Herr Hochmuth. Früher habe es, behauptet er, „öfter Verfehlungen von dieser Personengruppe“ gegeben, jetzt nicht mehr, denn nun verrichte hier eine Detektivfirma ihren Dienst. Die sei offenbar erfolgreich. Ein Kollege erklärt ihm, der Rückgang der Klauerei hinge wohl eher mit dem Rückgang der Klauer zusammen. Das habe er nicht gewußt, entschuldigt sich Herr Hochmuth; auf jeden Fall sei diese Personengruppe umsatzmäßig nie ins Gewicht gefallen. „Wenn man denen in den Korb geguckt hat, sah man eh nur Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Öl und Toastbrot.“

„Die Vietnamesen essen unter Niveau“, bedauert Ausländerbeauftragte Iffländer, „die rupfen einen gefrorenen Kohl vom Feld und kochen den drei Tage lang.“ Gemeinsam kauften sie sich einen Sack Reis, der reiche für einen Monat. Im Teich dürften sie fischen, in Berlin besorgten sie ihre Spezialgewürze, der Rest sei geklaut. „Deutsche machen's ja auch“, fügt Iffländer hinzu, „aber der Ausländer fällt mehr auf.“

Daß es unter den Deutschen schwarze Schafe gibt, weiß auch der Kioskbesitzer. Aber jene, die sich im vergangenen Sommer erst durch die Doppeltür gearbeitet, dann durch die Wand gekratzt und schließlich noch die Einbruchsvariante Dach probiert hatten, können seiner Meinung nach nur Asylbewerber von nebenan gewesen sein. Denn es fehlten immer nur Zigaretten, Süßigkeiten und Seife. Beweisen kann er diesen Verdacht nicht. Aber, so der Mann vom Kiosk, „der Deutsche nimmt Schnaps“. Und er beschließt seine Rede so, wie er sie begonnen hat: „Ich bin kein Roter, ich bin kein Schwarzer. Aber wennse hier Neuruppin leer machen, würden alle aufatmen.“

Das glaubt auch die Wirtin vom Vereinslokal der Kleintierzüchter wenige Schritte vorm Heimtor. Mit ihrer Gastfreundschaft hat sie schon einige der wenigen ausländischen Gäste vertrieben: „Einmal kam hier ein Rumäne mit fünf Frauen rein. Er setzte die Frauen an einen Tisch und bestellte eine Cola für alle. Sich selbst setzte er an einen anderen Tisch und bestellte ein Bier. Ich habe den Frauen natürlich fünf Colas gebracht. Er ist nie wieder gekommen.“

Die Investitionen in ihr Gasthaus haben die Heimbetreiber bereits hinter sich. Die beiden Häuser in Neuruppin waren Teil einer russischen Kaserne und erst sechs Jahre alt, als sie statt russischer Soldaten Flüchtlinge beherbergen sollten. „Das war eine Ruine“, sagt Herr Märten, der Geschäftsführer. „Wir haben nur die Wände stehen lassen. Alles andere haben wir rausgerissen und neu gemacht: Fenster, Türen, Heizung, Duschen und so weiter.“

Der Asylbewerber als Investitionsanreiz. 3,4 Millionen Mark hat die Firma in den Bau gesteckt. In Raten sollten sie die vom Land in den folgenden fünf Jahren zurückbekommen. Doch jetzt hat der Schuldner den Vertrag fristlos gekündigt – nach knapp acht Monaten. Das ist Rechtens. Die Klausel hat der Ordnungsamtsleiter eingesetzt, ein Volljurist aus Münster. „Der ist clever“, muß Peter Märten nun einsehen.

Die restlichen Millionen soll das Land trotzdem zurückzahlen. Aber wie? Der Gläubiger gibt sich noch zuversichtlich: „Wir möchten nicht gleich mit großen Kanonen auffahren. Wir setzen auf Konsens.“

Der ist für den Betreiber eines anderen gekündigten Heimes im Landkreis außer Sichtweite. Das Sozialministerium in Potsdam will ihm die geforderten 150.000 Mark nicht zahlen. „Die strecken natürlich alle viere von sich und warten ab“, sagt der Mann. Aber er will nicht klein beigeben, sondern vor Gericht gehen.

Genau das hat auch Andreas Hauk, sein Gegenspieler im Potsdamer Sozialministerium, den Kommunen und Landkreisen empfohlen: Sie sollen erst mal nicht zahlen und sich auf Schadensersatz verklagen lassen. Denn bei rund 60 dichtgemachten Heimen im Land will er die horrenden Forderungen nicht freiwillig begleichen.

Doch die Milliarden, die insgesamt in Ausbau und Renovierung bundesdeutscher Heime gesteckt wurden, sind keineswegs verpulvert, bloß weil die, für die sie bestimmt waren, nun nicht mehr kommen dürfen. Jedenfalls nicht in Neuruppin. „Um Gottes willen“, entsetzt sich der Ordnungsamtsleiter Joachimsmeier, „wir haben das Geld nicht in den Sand gesetzt!“ Denn wo erst die Russen lebten, dann übergangsweise Asylbewerber Quartier bezogen, dürfen bald wieder Deutsche leben: in 64 neuen Sozialwohnungen.