In Moskau herrscht Sprachlosigkeit

Nach dem Wahlerfolg der russischen Faschisten: Wer koaliert künftig mit wem? Unterschiedliche Signale aus der Umgebung Jelzins / Schirinowski frißt erst mal Kreide  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Die Sonne geht auf über dem freien Rußland“, kommentiert die liberale Tageszeitung Sewodnja ironisch die eintröpfelnden Wahlergebnisse: Rußlands Ferner Osten stimmte mit breiter Mehrheit für den Faschisten Wladimir Schirinowski und seine Liberaldemokratische Partei (LDPR). Dabei waren es noch im Aprilreferendum jene fernöstlichen Bezirke, die am deutlichsten die Wirtschaftspolitik des russischen präsidenten Boris Jelzins guthießen. Es besteht eine Menge Erklärungsbedarf. Doch bis jetzt stehen Moskau und seine politische Klasse noch unter Schock.

„Wir haben alle schuld, daß wir den Leuten nicht die Gefahr deutlich gemacht haben, die vor ihnen steht“, meinte der stellvertretende Vizepremier und Vorsitzende des Wahlblocks „Wahl Rußlands“, Jegor Gaidar. Die Anwesenheit von Faschisten im Parlament sei allein schon eine Niederlage für die russische Demokratie. Reformarchitekt Gaidar forderte die zersplitterten demokratischen Kräfte auf, jetzt endlich zusammenzuarbeiten. Den Versuch hatte er schon vorher vergeblich unternommen. Ein durchziehendes Kritikmoment in der liberalen Presse ist daher auch die Selbstgefälligkeit, mit der die Reformbefürworter in den Wahlkampf zogen. Nachdem der Oktoberputsch niedergeschlagen war, wähnten sie sich allein auf weiter Flur und begannen, ihre eigenen Süppchen zu kochen.

Bisher hat Gaidars Aufruf zur Zusammenarbeit noch nicht gefruchtet. Reformer wie der Vorsitzende des Dreierblocks Jabloko Jegor Jawlinski, selbsternannter Prätendent auf das Präsidentenamt, suchte die Gründe für das Versagen der demokratischen Kräfte beim Gegner. Ein Charakterzug, der die russische Intelligenzija seit jeher auszeichnet. In die gleiche Kerbe schlug auch der Vorsitzende der „Russischen Bewegung für Demokratie“ und Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak. Man könne nur hoffen, Regierung und Präsident würden daraus eine Lehre ziehen und bei der zukünftigen Durchführung der Reformen an den Teil der Bevölkerung denken, der bei nächsten Wahlen für Leute von Schirinowskis Schlag stimmen könnten.

Während Gaidar und andere Minister die Zusammenarbeit mit Vertretern der LDPR kategorisch ablehnten, sendete der Pressesprecher Jelzins ein irritierendes Signal. Er könne sich durchaus vorstellen, daß es Gemeinsamkeiten mit Schirinowski gebe. Er nannte Patriotismus und soziale Absicherung der Bevölkerung als Beispiele. Jelzin selbst meldete sich noch nicht zu Wort.

Der Sieger der Wahlen, Schirinowski, hatte gestern schon Kriede gefressen. Er gab sich als ein kompromißbereiter Politiker und diente Jelzin seine Mitarbeit an. Gegen Reformen sei auch er nicht. Andererseits meldete er Anspruch auf Regierungsbeteiligung an. Nach der neuen Verfassung obliegt die Ernennung des Premiers und der Kabinettsminister aber dem Präsidenten. Allerdings muß der Premier die Zustimmung des Unterhauses erhalten. Stimmt die Duma beim dritten Mal nicht zu, kann der Präsident Neuwahlen ausschreiben.

Beim jetzigen Stand der Dinge empfiehlt sich derartiges Vorgehen nicht. Noch hatte Schirinowski keine Gelegenheit, sein wahres Gesicht zu zeigen. Würde man ihm Steine in den Weg legen, könnten seine Erfolgsaussichten noch steigen. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat das Schirinowski-Team nichts anzubieten als „billigen Wodka“ für alle, womit er schon seine Präsidentschaftskampagne 1991 führte.

Liberale Kritiker der neuen russischen Verfassung, die dem Präsidenten eine starke Stellung zusichert, zeigen Zeichen von Erleichterung. Der Kommentator der Iswestija, Otto Lazis, schrieb: „Buchstäblich am ersten Tag der neuen Verfassung mögen jene, die sie früher ablehnten, verstehen, warum unter den gegebenen Bedingungen im heutigen Rußland eine klare Begrenzung der Prärogative des Parlaments erforderlich ist.“

Premierminister Tschernomyrdin und Stellvertreter Gaidar räumten nötige Umbesetzungen im Kabinett ein. Die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Schirinowski schlossen sie bis dato aus. Die starke Stellung des Präsidenten macht die Fortsetzung des Reformkurses theoretisch möglich. Eine genaue Analyse des Wahlergebnisses muß erst vorliegen, um Schlüsse zu ziehen. Motivationen, für die Faschisten zu stimmen, hängen von vielen unterschiedlichen Faktoren ab und liegen mitnichten nur in der Wirtschaftspolitik begründet. Ergebnisse aus Moskau und St. Petersburg zeigen, daß die Bevölkerung mehrheitlich für die Reformparteien stimmte.