: Ein neuer Pestizidmulti
Hoechst und Schering legen Insektenkillersparte zusammen / Künftig drittgrößter Hersteller weltweit / Viel Geld für Forschung eingeplant ■ Von Ulrike Fokken
Berlin (taz) – Heute sind die Schering-Aktionäre zu einer außerordentlichen Hauptversammlung geladen. Der Grund: Die Abteilung Pflanzenschutz soll ausgegliedert werden und künftig mit der Pestizidsparte der Hoechst AG zusammenarbeiten. Beide Firmen folgen damit dem weltweiten Konzentrationstrend der kränkelnden Chemie- und Pharmafirmen. Deutsche Banken begrüßen den Zusammenschluß zur Hoechst Schering Agro GmbH ausdrücklich. Wen wundert's, halten sie doch einen Großteil der Aktien an der angeschlagenen Schering.
Der Markt für die euphemistisch als Pflanzenschutzmittel bezeichneten Chemikalien ist in den letzten Jahren immer enger geworden, die Verkaufszahlen sind rückläufig. Rita Ackermann, Pressesprecherin bei Schering, spricht sogar von einem „überschaubaren und kleinen Markt“. Ob es nun an den von den Unternehmen beklagten Agrarreformen in der EU, den stagnierenden Produktionszahlen in der nord- und südamerikanischen Landwirtschaft oder an den Devisenschwächen der osteuropäischen Abnehmer liegt – fest steht, daß Umsatz und Gewinn der weltweiten Agrarchemiefirmen sinken. Den einzigen Ausweg aus ihrem allgemeinen Absatzschwund sehen die Chemiemultis in einer Konzentration auf einige Kernbereiche und der Verschmelzung gleichartiger Geschäftsbereiche verschiedener Firmen – Pharma zu Pharma, Pestizid zu Pestizid. Schering machte 1992 mit den Insektenkillern 1,3 Milliarden Mark Umsatz, 16 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Hoechst verlor nur ein Prozent und verdiente noch 2,7 Milliarden Mark damit. Dies liegt in erster Linie an der „erfreulichen Entwicklung“ des Herbizids Basta, das zukünftig im Doppelpack mit genmanipuliertem Saatgut angeboten werden soll. Interessanterweise geht das Saatgutgeschäft von Hoechst aber nicht in die Neugründung ein. Über Gründe darüber wollte sich das Frankfurter Unternehmen gegenüber der taz nicht äußern.
Schering bringt außer seinen Pestiziden auch Spezialdüngemittel- und das relativ kleine Geschäft mit Hydrazin, einem Kunststoffaufschäummittel, in die gemeinsame Agro GmbH ein. Damit ist Schering mit 40 Prozent an dem neuen Konzern beteiligt. Die Gentechnik aber bleibt außen vor. Mindestens bis 1996 läuft noch das mit Geldern des Berliner Senats betriebene Forschungsinstitut in Berlin weiter. Dort gewonnene Erkenntnisse werden aber wohl dennoch ihren Weg in die gemeinsamen Chemietöpfe der Agro GmbH finden.
Hoechst hingegen unterstellt seinen sogenannten „Grünen Genbereich“ gleich direkt dem neuen Konzern. Seine Anteile von 60 Prozent setzen sich außerdem aus dem Pflanzenschutz- und Flüssigdüngemittelgeschäft zusammen, angereichert durch das Haushaltspestizid-Geschäft der französischen Tochter Roussel Uclaf. Das Pestizid-Aktions-Netzwerk hat herausgefunden, daß diese Firma bis 1990 das in der EU und Deutschland verbotene Thioral in Afrika verkauft hat. In der Türkei verkaufte Hoechst über die dortige Tochter das ebenfalls seit 1981 verbotene Hobrom.
Der geschätzte Jahresumsatz des neuen Pestizidmultis soll 3 Milliarden Mark betragen. Damit steigt die Agro GmbH auf Platz drei der Weltrangliste der Pflanzenschutzmittelfirmen auf. In Europa nimmt sie gar Platz eins ein.
Die in verkrusteten Strukturen steckende Schering AG hat in den letzten Jahren kräftig abgespeckt und sich von unliebsamen Geschäftsfeldern getrennt. Übriggeblieben waren lediglich die Kernbereiche Pharma und Pflanzenschutz. Letzteren wollte Schering schon Anfang der neunziger Jahre verkaufen – ohne Erfolg. Der Berliner Betrieb investiert jährlich rund 12 Prozent des Gewinns in die Pflanzenschutzforschung, was ungewöhnlich viel ist. Im wissenschaftlichen Know-how dürften denn auch die Vorteile für den Großkonzern Hoechst liegen. In der Agro GmbH sollen 300 Millionen Mark jährlich für die Forschung zusammenkommen, um beim Wettlauf mit den anderen Multis bessere Chancen zu haben. Schering wiederum profitiert von den praktischen Frankfurtern, die sich bekanntermaßen auf dem Markt gut durchsetzen können.
Da sich laut Rita Ackermann die „Marktanteile der Hochst Schering Agro nicht überlappen, sondern ergänzen“, wird die in Deutschland entwickelte Chemieberieselung jetzt weltweit noch besser klappen. Kritische AktionärInnen von beiden Konzernen sehen hierin auch die größte Gefahr der Fusion. Die Aktivitäten werden durch Standortverlagerungen ins Ausland noch undurchsichtiger und „der gefährliche Einsatz von Agrargiften forciert“. Henry Mathews vom Schering-Aktions-Netzwerk befürchtet dann auch, daß „Umwelt und Gesundheit weiter auf der Strecke bleiben“.
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