Pflegegesetz vor dem Scheitern

■ Im Bundesrat ist keine Mehrheit für die Pflegeversicherung absehbar / Brandenburgs Ampelkoalition will erst Freitag morgen die endgültige Entscheidung treffen / Donnerstag tagen die Ministerpräsidenten

Berlin (taz/dpa) – Wenige Tage vor der entscheidenden Bundesratssitzung zur Pflegeversicherung zeichnete sich auch gestern keine Mehrheit für das Gesetz ab. Die Regierungskoalition bräuchte eine einfache Mehrheit von 35 Stimmen, kann aber nur auf 21 sichere Stimmen aus den CDU/FDP-regierten Ländern Bayern (6 Stimmen), Sachsen (4), Mecklenburg- Vorpommern (3), Thüringen (4) und Sachsen-Anhalt (4) zählen.

Neun SPD-regierte Bundesländer haben bereits erklärt, daß sie das Gesetz ablehnen werden. Auch die Große Koalition in Berlin hat gestern formal beschlossen, dem Gesetz in der jetzigen Fassung die Zustimmung zu verweigern. Die Große Koalition in Baden- Württemberg wird heute entscheiden. Die SPD hat dort mit dem Bruch der Koalition gedroht, falls die CDU entgegen den Koalitionsvereinbarungen dem Gesetz zustimmen will. Im sozialliberal regierten Rheinland-Pfalz (4 Stimmen) sollte die Entscheidung gestern nach Redaktionsschluß fallen.

Das Kabinett der Brandenburger Ampelkoalition ermächtigte gestern Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), bei Pflegeversicherung und Entgeltfortzahlungsgesetz nach „pflichtgemäßem Ermessen“ abzustimmen. Wie Regierungssprecher Erhard Thomas mitteilte, soll die endgültige Festlegung erst am Freitag morgen „nach erneuter Rückkopplung mit einigen Kabinettsmitgliedern“ erfolgen.

Die Bonner Regierungskoalition hat versucht, Brandenburg und die anderen neuen Länder mit einer finanziellen Unterstützung bei den Investitionskosten für Pflegeheime zu ködern. Für eine Dauer von sieben Jahren sollen den neuen Ländern aus der Pflegeversicherung jährlich 800 Millionen Mark zur Verfügung stehen.

Die Bundes-SPD kritisiert dagegen, daß Investitionskosten, die zu den Folgekosten der deutschen Einheit gehören, dem Beitragszahler aufgebürdet werden. Die Millionenbeträge fehlten dann bei den Pflegeleistungen.

Beim Streit um die Pflegeversicherung geht es um mehr als den Verzicht auf ein oder zwei Feiertage: Zum einen geht der vom Vermittlungsausschuß verabschiedete Kompromiß immer noch davon aus, daß entweder der Lohn an einem Feiertag um zehn Prozent abgesenkt werden soll oder wahlweise auf einen Urlaubstag verzichtet werden soll. Der Eingriff in die Tarifautonomie, den die SPD nicht mittragen will, ist also nach wie vor auf der Tagesordnung. Außerdem ist der Vermittlungsausschuß bei den von der SPD ausgehandelten Leistungsverbesserungen wieder hinter bereits Vereinbartes zurückgefallen.

Bei der häuslichen Pflege sollte die Sachleistung, d.h. Pflege durch einen ambulanten Dienst, in der höchsten Pflegestufe von 2.100 auf 2.800 Mark erhöht werden. Der Vermittlungsausschuß beschloß jedoch nur eine Erhöhung auf 2.250 Mark. Auch die ausgehandelte Aufstockung bei den Sachleistungen in der Pflegestufe II von 1.500 auf 1.800 Mark wurde wieder zurückgenommen.

Falls die Pflegeversicherung im Bundesrat scheitert, haben sowohl Arbeitsminister Norbert Blüm als auch SPD-Chef Scharping angedeutet, daß sie erneut den Vermittlungsausschuß anrufen werden. win