Freier Handel auf niedrigem Niveau

■ USA und EU klammern wichtige Punkte bei Einigung über Gatt-Abbkommen aus

Genf (taz) – Eine Einigung durch Nichtbefassung war alles, was USA und EU nach monatelangen Verhandlungen über Gatt erreichten. Nachdem die wesentlichen Konflikte zwischen den beiden Machtblöcken ausgeklammert wurden und auch Japan zukünftig Reisimporten zustimmt, wird das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) wahrscheinlich heute abend in Genf von den 115 Teilnehmerländern endgültig besiegelt. Nicht völlig auszuschließen ist jedoch, daß Teile der zwischen Washington und Brüssel erzielten Verständigung noch auf Widerstand bei anderen Gatt-Staaten stoßen werden.

Nach nahezu ununterbrochenen Verhandlungen in der Nacht zum Dienstag verkündeten die Chefunterhändler von USA und EU am Mittag eine „umfassende Vereinbarung“. Diese besteht erstens aus der Verständigung, den in den letzten Wochen heftig umstrittenen Bereich Film, Fernsehen und Video aus dem Gatt-Abkommen auszuklammern. Zur „großen Enttäuschung“ von Mickey Kantor, der vor seiner Ernennung zum amerikanischen Gatt-Chefunterhändler für die US- Filmindustrie arbeitete. EU-Chefunterhändler Leon Brittan zeigte sich über die Aussparung des Film- und Fernseh-Bereichs aus einem Gatt-Abkommen hingegen erleichtert. Europa könne „nun weiterhin seine kulturelle Identität wahren“.

Beim Thema Luftfahrtindustrie einigten sich Kantor und Brittan lediglich auf die Begrenzung von Subventionen für wenige Flugzeugtypen. Beim Seefrachtverkehr reichte es nur zu dem Kompromiß, diesen Bereich im Dienstleistungskapitel des Handelsabkommens aufzuführen. In der Sache gelang keine Einigung, insbesondere nicht über die innerhalb der EU am stärksten von Griechenland und Dänemark geforderten verbesserten Marktzugang zu den US-Binnengewässern.

Bei der lange umstrittenen Frage der Finanzdienstleistungen räumt die EU den USA nun das Recht ein, für eine befristete Zeitspanne nach Inkrafttreten des Abkommens den anderen 114 Gatt-Verhandlungspartnern unterschiedliche Zugänge zum amerikanischen Finanzdienstleistungsmarkt zu gewähren, anstatt nach dem Grundprinzip der Gleichbehandlung zu verfahren. Es wurde in Genf gestern nicht ausgeschlossen, daß Japan und andere Staaten Südostasiens und Lateinamerikas dieser Regelung die Zustimmung verweigern könnten.

Die Außen- und Außenhandelsminister der EU müssen sich heute in Brüssel noch einer Forderung Frankreichs entsprechend über die Verschärfung handelspolitischer Instrumente der EU gegen als unfair empfundene Handelspraktiken anderer Staaten einigen. Frankreich hat inzwischen die zunächst für Dienstag angesetzte und dann auf heute verschobene Sitzung der Nationalversammlung, auf der Premierminister Balladur die Abstimung über ein Gatt-Abkommen mit der Vertrauensfrage verbinden will, auf morgen vertagt. Bereits für heute abend ab 17 Uhr hat Gatt-Generaldirektor Sutherland jedoch die Sitzung des höchsten Gatt-Verhandlungsausschusses angesetzt, auf der alle 115 Delegationen ihre endgültige Zustimmung zum Abkommen geben sollen. Andreas Zumach

Siehe auch Seite 6 und Kommentar Seite 10