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„Es geht um Gefühl und um Politik“

■ Interview mit der grünen Abgeordneten Marieluise Beck über ihren Weg zur Bremer Bosnien-Aktivistin

Die grüne Bürgerschafts-Abgeordnete Marieluise Beck gehört zu den Gründerinnen der Bremer Initiative „Frauen helfen Frauen“, die sich für die Aufnahme bosnischer Flüchtlingsfrauen in Bremen eingesetzt hat. In diesem Jahr hat sie an mehreren internationalen Bosnien-Konferenzen teilgenommen und war im Sommer mit einer Delegation der grünen Bundestagsfraktion vor Ort.

taz: Mit welchem Anteil Deiner Arbeitskraft hast Du Dich in den letzten Monaten für Bosnien engagiert?

Marieluise Beck: Mit einem sehr großen.

Wie ist es dazu gekommen?

Es hat sich entwickelt. Ich muß selbst für mich zugeben, daß ich lange Zeit, wo wir hier schon längst hätten aufmerksam werden müssen, nicht wahrgenommen habe, was sich auf dem Balkan zusammenbraut. Richtig aufmerksam geworden bin ich erst durch den engen Kontakt mit bosnischen Flüchtlingen, die in unserem Haus gelebt haben. Wir haben viel gesprochen und oft abends gesessen und kroatisches und bosnisches Radio gehört. Da habe ich erst wirklich die unglaubliche Dimension der Barbarei in Bosnien verstanden.

Die zweite Initialzündung war für mich im Februar die Teilnahme an dem Frauenkongreß in Zagreb, auf dem ich gelernt habe, welcher bestialische Krieg gegen die Frauen da geführt wird – und nicht nur in Einzelfällen, sondern mit System.

Wer sind bei Deiner Arbeit die Gegner?

Ein Gegner ist sicher die internationale und europäische Diplomatie, die es viel zu spät hat wahrhaben wollen, daß Jugoslawien als Zentralstaat nicht mehr würde erhalten bleiben können. Erst jetzt schält sich heraus, daß deren Untätigkeit nur zu einem Teil Ohnmacht ist, zum anderen Bosnien aber das Opfer wird von geostrategischen Interessen. Die Bosnier werden fast ein Stück Opfer der deutschen Wiedervereinigung, die in England und Frankreich alte Ängste geweckt hat, daß sich hier wieder ein starkes Reich in der Mitte Europas breitmachen und seine Hände nach dem Balkan ausstrecken würde.

Die internationale Diplomatie ist ein sehr großer, aber auch sehr ferner Gegner...

Es gibt auch hier in der Auseinandersetzung im eigenen Umfeld die Frage, welche Dimension dieser Konflikt überhaupt hat. Es hat ja in den Grünen und der SPD Auseinandersetzungen gegeben, ob dieser Genozid verglichen werden dürfte mit der Vernichtung des jüdischen Volkes. Aber ich weiß inzwischen, daß es vor allem die jüdischen Organisationen insbesondere in den USA sind, die von sich aus immer wieder betonen, daß sie viele, viele Parallelen zu ihrer eigenen Situation 1939/40 sehen. Es wird nicht auf die gleiche Art und Weise vernichtet, es gibt keine Gaskammern, keine industrielle Vernichtung, aber es gibt ein System der Vernichtung dieses Volkes, es gibt Konzentrationslager, es gibt die systematische psychische Zerstörung der Menschen, insbesondere der Frauen, und es gibt wieder die Erscheinung, daß die Außenwelt es nicht wahrhaben will.

Mich wundert etwas, daß bei Deiner Antwort auf die Frage nach Deinen Gegnern Ex-Jugoslawien überhaupt nicht vorkommt. Ist die Frage nach Tätern und Opfern dort für Dich zweitrangig?

Nein, es ist ganz schwer auszuhalten, daß sich die Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern zunehmend verwischt, daß hier nach wie vor sehr viel von Bürgerkrieg gesprochen und damit verwischt wird, daß es einen von Serbien geplanten und ausgehenden Überfall gegeben hat auf Slawonien, Kroation und jetzt auf Bosnien, daß inzwischen Kroatien im Windschatten der serbischen Politik mit gleichen Methoden vorgeht, daß es also inzwischen zwei Agressoren gibt gegenüber den Bosniern, die eindeutig Opfer sind.

Daß ich das eben nicht genannt habe, hat vermutlich etwas damit zu tun, daß ich wenig optimistisch bin, daß von Serbien aus sich heraus im Augenblick eine Chance bestehen würde, diesem mörderischen Treiben Einhalt zu gebieten. Es scheint ja im Gegenteil sogar fast so zu sein, daß das Embargo kontraproduktiv gewesen ist, indem es die Bevölkerung mit der Propaganda „alle stehen gegen uns, und wir sind das Opfer“ eher zusammengeschweißt hat.

In Bremen versucht Ihr, mit der „Brücke der Hoffnung“ Hilfsgüter direkt ins bosnische Kriegsgebiet zu bringen. In kurzer Zeit ist dafür sehr viel Geld gesammelt worden, aber angekommen ist von dieser Hilfe noch gar nichts. Ist das nicht eine Täuschung der Spender?

Es gibt bei jeder Hilfsaktion einen zentralen Punkt: und das ist immer wieder die Frage des Transportes von den Grenzen nach Bosnien hinein.

Wir haben immer ganz offen gesagt, daß wir überhaupt keine Garantien geben können. Nur die Alternative wäre, nichts mehr zu tun und die Menschen aufzugeben. Die „Brücke der Hoffung“ setzt darauf, daß gerade weil in der Bevölkerung der Wunsch, nicht nur zuzuschauen, so groß ist, der politische Druck auch auf die Bundesregierung verstärkt wird, auf Kroatien so einzuwirken, daß es die Transportwege öffnet.

Am 20. Dezember soll ein großer Konvoi mit 50 LKW in Deutschland losfahren. Und wenn der sichtbar vor der Grenze steht, und es geht nicht weiter, dann muß das nochmal die Bundesregierung dazu bringen, alle Register zu ziehen, um mit der kroatischen Seite zu verhandeln.

Aber der erste Bremer Hilfsgüter-LKW ist nach Belgrad gefahren, das ist doch nicht gerade in Kroatien...

Nein, die Situation ändert sich ja ständig. Vor ein paar Wochen war über Kroatien überhaupt kein Zugang nach Bosnien möglich. Damals aber lief der Transport relativ gut über Belgrad. Eine kleine Hilfsorganisation der Adventisten ist in den vergangenen Monaten mehrmals von Belgrad aus in die ostbosnische Enklave gefahren, so daß wir auf Anraten des Auswärtigen Amtes mit dem ersten LKW dieses Nadelöhr versucht haben zu benutzen.

An dem Tag, an dem unser Lastwagen in Bremen losfuhr, kam aber nach einigen Monaten Ruhe die Nachricht, daß Tuzla wieder aus der Luft bombardiert wurde. Heute morgen konnte man nun lesen, daß die UNO den serbischen Truppen Diesel angeboten hat, um sich mit ihren Hilfskonvois genau über diese Strecke begleiten zu lassen. Es geht alles drunter und drüber, und wir müssen mit dem try-and-error-Prinzip versuchen hineinzukommen.

Gibt es denn überhaupt einen Mangel an Hilfsgütern? Oder fehlt es nicht vielmehr am politischen Druck, sie vor Ort zu schaffen?

Darüber gibt es unterschiedliche Informationen. Es gibt immer mal wieder Zeiten, wo die Lagerhäuser voll sind, weil es keinen Abfluß gibt. Ich gehe auch davon aus, daß, wenn die Transportwege wirklich offen wären, die Menschen nicht verhungern würden. Dann würden EG und UNO genug Geld reinpumpen in das Gebiet. Trotzdem ist es so, daß der UNHCR selbst in einer katastrophalen Lage ist. Die wissen nicht mehr, wie sie 94 diese „Operation Balkan“ überhaupt noch finanzieren sollen. Das ist ja die größte Hilfsaktion, die die UNO je in ihrer Geschichte veranstaltet hat. Und die Zahl der Bedürftigen wächst von Monat zu Monat.

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt. Auch wenn es zur Zeit angesichts der fast ausweglosen Situation schwer fällt, in die Zukunft zu blicken, habe ich trotzdem die Hoffnung, daß irgendwann, wenn die Zeiten mal wieder besser werden und es möglich ist, nach Bosnien zu fahren, dann auch der Boden bereitet ist, für den Wiederaufbau des Landes aktiv zu sein.

Ist das die Hoffnung, die Dich jetzt weitermachen läßt?

Ich bin den Menschen in Bosnien inzwischen so verbunden, weil es so unglaublich ist, daß sie innerhalb Europas nichts mehr hat schützen können, obwohl sie ja auf der Seite der Friedlichen gestanden haben. Es hat in Sarajewo riesige Friedensdemonstrationen vor Ausbruch des Krieges gegeben. Die Bosnier waren nicht bewaffnet, sie wollten keinen Krieg. Sie haben die Mittlerrolle eingenommen zwischen Serbien und Kroation. Ich finde es unglaublich, daß so ein Volk geopfert wird, daß ich da ganz emotional bin.

Hat sich, ebenso wie sich der Konflikt radikalisiert, auch Deine Position dazu radikalisiert?

Es gibt insofern eine Radikalisierung, als ich gefühlsmäßig schlecht aushalten kann, wenn die Verantwortung zwischen Agressor und Opfer verwischt wird. Das finde ich fast das Demütigendste, wenn die Opfer in die Rolle der Täter gedrängt werden. Diese Verletzung von Gerchtigkeitsgefühlen ist auch ganz gefährlich und wird uns politisch noch einmal als Rechnung präsentiert werden. Insofern geht es nicht nur um Gefühl, es geht auch um Politik.

Fragen: Dirk Asendorpf

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