Auch Moschee wird Flüchtlingslager

■ Die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge sind bei Verwandten untergekommen

„Wir sind aus unseren Räumen in Hemelingen rausgeflogen“ erzählt Nezim Kulic (20) vom Deutsch-Bosnischen Freundschaftsverein. Nachbarn beschwerten sich über die laute Life-Musik. Jetzt suchen die circa 50 Vereinsmitglieder, unter denen BosnierInnen, KroatInnen und Deutsche sind, nach einem neuen Treffpunkt. „Wir helfen den neueingetroffenen Flüchtlingen bei Behördengängen. Die meisten von ihnen sind Frauen mit Kindern aus den kroatischen Lagern“, berichtet der Bosnier, der seit acht Jahren hier lebt.

„Ärger mit den Nachbarn haben wir nicht“ meint Ismet Hodzic. Er ist Vorsitzender der bosnischen Gemeinde in Walle. Die Moschee – eigentlich eine Wohnung – ist seit den zwei Kriegsjahren der erste Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Zwischen strapazierten Möbeln campieren sie im Provisorium. Als „Zwischenlandung“ bezeichnet der Hodscha diesen ersten Aufenthalt. 15 Personen leben augenblicklich in dem umfunktionierten Gebetshaus. Manche ihrer VorgängerInnen mußten sich ein halbes Jahr mit diesem Übergangsstadium behelfen, bevor sie eine eigene Wohnmöglichkeit fanden.

Die 500 Familien der Gemeinde, die sich früher „Jugoslawische Moslems“ nannte, setzen sich sehr für die Flüchtlinge ein, sagt Ismet Hodzic, räumt allerdings ein: „Manche sind auch schon mal ungeduldig geworden.“ Erhard Heintze, Referent für Zuwanderungsfragen im Sozialressort, weiß: „Die Bremer BosnierInnen haben schon ganz am Anfang ihre Wohnungen mit den Flüchtlingen geteilt, als wir von der Behörde noch versuchten, uns auf die neue Situation einzustellen.“ Im November verhalf das Sozialressort 432 Flüchtlinge zu Wohnmöglichkeiten. Die Hälfte davon sind sogenannte Kontingentflüchtlinge, die aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention hierher kamen. Die anderen sind Bürgerkriegsflüchtlinge mit „Duldungsstatus“. Auf 1.200 bis 1.300 „Aufenthaltsbefugte“ – also BosnierInnen, die sich legal in Bremen aufhalten, – schätzt die Ausländerbehörde die Zahl der Flüchtlinge. „Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit erheblich höher“, fügt Heintze hinzu. „Diese Menschen sind wahrscheinlich bei Freunden und Verwandten untergebracht.“

90 Plätze hat ein Wohlfahrtsverband für Frauen aus den Lagern eingerichtet. Dieses Projekt versucht den schwer mißhandelten Frauen bei der Aufarbeitung der Traumata-Folgen der Vergewaltigungen beizustehen. Auch der Hodscha erwähnt neben der AWO und dem ASB den Verein „Frauen helfen Frauen“.

Gute Kontakte hat die Bosnische Gemeinde außerdem zur Evangelischen Gemeinde in Gröpelingen. Die Gemeindeangehörigen dort organisieren auch mal Möbel, helfen bei der Wohnungssuche. 40 Verpflichtungserklärungen leisteten Mitglieder der Evangelischen Kirche in Bremen und Umzu und halfen durch diese Bürgschaft Menschen aus den Kriegsgebieten heraus. Von den Grünen ist Ismet Hodzic anfangs sehr enttäuscht gewesen. Er vermißte Demonstrationen gegen die Greueltaten. „Mittlerweile haben sie aber viel Hilfe organisiert und sich sehr engagiert.“

Dem Gemeindevorsitzenden, der 1969 als Dockarbeiter nach Deutschland kam, ist mittlerweile seine Religion ebenso wichtig wie die bosnische Kultur. „Früher spielte es keine Rolle, wer christlich, islamisch oder jüdisch war – bis die Nationalisten versuchten, die Atmosphäre zu vergiften.“ S.L.