Kinder - Opfer der Erwachsenen

■ Während ihre Väter auf verschiedenen Seiten im ehemaligen Jugoslawien kämpfen, leben die Kinder in Berlin unter einem Dach als Flüchtlinge / Die Eltern hassen ihre eigenen Kinder glauben sie

Die Geschichten sind ähnlich, denn die Schicksale der vom Krieg geflüchteten Kinder sind gleich. Meistens sind die Mütter allein mit den Kindern. Die Väter sind in Bosnien an der Front, im Gefängnis, oder sie sind schon gefallen. Irma, Alma, Dario, Mirela, Suamita, Amir leben alle unter einem Dach in einem der Berliner Heime für die bosnischen Flüchtlinge.

Hier leben sie und spielen zusammen. In Bosnien kämpfen ihre Väter auf den verschiedenen Seiten, denn in Bosnien, so wurde ihnen gesagt, können die Kroaten, Moslems und Serben nicht mehr zusammen leben.

Von den Kindern reden die Erwachsenen sehr viel. Wahrscheinlich wegen ihres schlechten Gewissens, denn sie führen die Kriege, in denen die Opfer Kinder und ihre Mütter sind. Neunzig Prozent der Opfer der bewaffneten Konflikte waren in den letzten zehn Jahren Zivilisten. Mehr als anderthalb Millionen Kinder wurden getötet, vier Millionen leiden an Behinderungen als Folge der Kriege, etwa fünf Millionen leben in Flüchtlingslagern.

Die Erwachsenen haben die Kinder gerne. Deswegen appellieren sie mit Verweis auf diese Zahlen an die Öffentlichkeit, denn die Kinder sind ihre Zukunft. Um diese Zukunft kümmern sich die Erwachsenen jedoch vor allem, indem sie – sowie auch in bisherigen Kriegen – sorgfältig statistisches Material über die Zahl der verhungerten, getöteten und verkrüppelten Kinder zur Schau stellen und auswerten.

Die endgültige Zahl von bosnischen Kindern, soweit sie von den Kriegsexperten festgestellt wurde, kann leider noch lange nicht bestimmt werden, weil dort der Krieg noch nicht zu Ende ist und noch immer Opfer fordert.

Nur wenige der Kinder haben das Glück zu überleben und vom Kriegschaos in eines der sicheren Länder flüchten zu können. Diese sehen sich nämlich gezwungen, unter dem Druck der öffentlichen Meinung die verhungerten und meist seelisch toten Kinder aufzunehmen. Während diese Länder sich um die Kinder und ihre Mütter kümmern, nehmen sie sich auch ihrer Väter an, indem sie ihnen regelmäßig die modernsten Waffen an die Front liefern. Es wird also nicht zufällig passieren, daß sie sich nicht mehr gegenseitig töten können. So wird der Kreis geschlossen.

Andererseits sind die Männer zufrieden, wenn sie zu Hause weiterschlachten können, mit dem beruhigenden Gedanken, daß die Kinder in Sicherheit (das heißt in Deutschland) sind.

Die Kinder interessieren sich nicht für die Zahlen und die Statistik. Sie möchten ihre Väter bei sich haben und zu Hause leben. Sie verstehen nichts davon, was um sie herum passiert, doch leiden sie daran. Sie werden nicht gefragt, haben kein Recht auf eine eigene Meinung und Gedanken. Wenn doch, dann gibt es keinen, der ihnen zuhört.

„Wie können sie uns so hassen?“ fragt die 13jährige Mirela, obwohl sie keine Antwort erwartet. „Warum haben sie uns denn gemacht? Damit sie jemanden haben zum Quälen?“

Hat sich die Liebe der Erwachsenen zu den Kindern wirklich in ihr Gegenteil verwandelt? Rund eine Million Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien, die meisten von ihnen aus Bosnien-Herzegowina, sind seit langer Zeit dem Kriegsterror ausgesetzt. Diese Kinder brauchen Hilfe, nicht nur für ihre Körper, sondern auch für ihre verletzten Seelen.

Darauf weisen die Psychologen hin, aber die Welt gehört den Politikern, und die entscheiden über das Leben und den Tod. Die Erfahrungen, daß die Welt aus Haß, aus Gewalt und Vergeltung besteht, verbleiben bei Kindern.

Keine Zukunft, kein Licht im Tunnel ...

Sechs Kinder, sechs Gespräche und nur ein Gefühl – für sie ist alles verloren, und es lohnt sich nicht weiterzuleben. Denn die Eltern hassen ihre eigenen Kinder, so erleben sie es.

Vom Krieg haben sie keine Lust zu reden, weil dort in Bosnien- Herzegowina irgendwelche Narren den Krieg machen. Deswegen sind sie nicht zu Hause. Deswegen sitzen sie in den Flüchtlingslagern – Deutschland, Norwegen, Holland, Schweden ... Und all das wegen dem Haß der Erwachsenen. „So etwas, so kann man mit Sicherheit sagen, fühlen sie in ihrem eigenen Herzen trotz allem (noch) nicht.“ Senada Marjanović

Die Autorin ist bosnische Journalistin und lebt seit ihrer Flucht in Berlin.