Brücke zwischen den Kulturen des Balkans

Das Süd-Ost-Europa-Kultur-Zentrum ist der einzige Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien jenseits nationalistischer Grenzen / Geschäftsführerin Bosiljka Schedlich will dem Haß entgegenwirken  ■ Von Corinna Raupach

Berlin als eine Trutzburg hinter einem Wald aus Herbstblättern – so hat der zwölfjährige Sascha seine neue Heimat dargestellt. Sein Lieblingsbild aber zeigt in Öl das Haus seiner Großmutter in Sibirien. Während er jetzt mit seinem jüngeren Bruder die Treppen vom zweiten Stock in den Hof hinunter und hinauf fegt, prüft Kurslehrer Danilo Pravica mit zusammengekniffenen Augen die Werke seiner Schüler, die ab Sonntag in der Süd-Ost-Galerie ausgestellt werden sollen. Auf dem Tisch stapeln sich Skizzen, Zeichnungen und Collagen, im großen Raum nebenan lehnen Ölbilder und Graphiken an den Wänden. In seine Malkurse kommen die Kinder aus Rußland ebenso wie deutsche Kunstfreunde und Kriegsflüchtlinge und aus dem ehemaligen Jugoslawien. „Ich bin Künstler und will Künstler bleiben“, begründet er sein Engagement. Pravica selbst kam vor anderthalb Jahren aus Mostar nach Berlin. Über seinen Weg hierher schweigt er.

Das Süd-Ost-Europa-Kultur- Zentrum in der Kreuzberger Großbeerenstraße besteht seit März 1992. Der Verein hatte sich ein Jahr vorher gegründet, als der Krieg auch zu Spannungen unter den hier lebenden Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien führte. Er machte es sich zum Ziel, Brücken zu schlagen zwischen der Kultur Berlins und den Kulturen des Balkans. Mit Unterstützung der Ausländerbeauftragten Barbara John gelang es, die Etage des ehemaligen jugoslawischen Kulturvereins nach dessen Auflösung zu übernehmen. „Wir wollten Begegnungen schaffen, dem Haß entgegenwirken und den Blick für die Zukunft öffnen, ohne zu verdrängen, was gerade passiert“, sagt Geschäftsführerin Bosiljka Schedlich.

Eigentlich wollte die zierliche Frau mit dem langen schwarzen Haar vor zwei Jahren zurückkehren zu ihren Büchern, zur Philosophie, den russischen Dichtern, die sie so liebt. Statt dessen verbringt sie jetzt ihre Tage und oft die halben Nächte in ihrem Büro. Auf dem weißlackierten Schreibtisch stapeln sich Rechnungen, Zeitschriften, Konzeptpapiere und zu verschickende Einladungen. Das Telefon klingelt ständig, ein Mann holt eine Unterstützung ab, eine bosnische Familie muß zum Arzt begleitet werden, ein Priester aus Sarajevo wartet nebenan bereits auf sie.

Die 43jährige Bosiljka Schedlich bewahrt nicht nur ihre Gelassenheit, sondern noch ein Lächeln für jeden Ankömmling. Nur bei dem Gedanken an die großen Konferenzen klingt ihre Stimme fast bitter. „Dort werdem diese Verbrecher empfangen, und man gibt ihnen noch die Hand.“ Sie wählt ihre Worte sorgfältig. „Wenn man sich nicht jetzt einmischte in den Kampf zwischen Gut und Böse, wann denn sonst? Wenn die großen Völker dem Krieg nur zusehen, sind sie Mittäter.“ Unter ihrer Leitung wurde das Zentrum zur einzigen Anlaufstelle für Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien jenseits der nationalistischen Vereine. „Es soll ein Modell sein, wo Menschen aller Nationen sich begegnen.“ Auf den Veranstaltungen diskutieren Serben und Kroaten, Muslimanen und Slowenen, Albaner, Mazedonier, Roma und Deutsche immer wieder durchaus kontrovers über die Themen, die der Krieg aufgeworfen hat. Neben Beratungen, Lesungen, Konzerten und Informationsveranstaltungen sollen die Menschen vor allem in ihren eigenen Ideen unterstützt werden. „Sie sollen ihre Sprache und Kultur so ausüben können, wie sie es wünschen. Schließlich ist der Balkan die kulturelle Wiege Europas“, so Schedlich.

Dazu gehören für sie auch die Erfahrungen, die sie aus ihrem dalmatinischen Heimatdorf mitnahm. „Die Menschen dort sind hart zu sich selbst, zueinander und zu den Tieren. Aber sie sind die besten Gastgeber, die den besten Schinken nie selbst essen.“ Als sie zu ihrem Vater nach Split zog, um in die Schule gehen zu können, begann für sie, was sie ihr „Dazwischenstehen“ zwischen den Kulturen nennt. Aus der archaischen Kultur des Dorfes kommend, traf sie auf eine Industriegesellschaft, in der sie immer das arme Dorfkind war. Gegen den Willen ihres Vaters besuchte sie das Gymnasium und schrieb sich an der Universität in Zadar für Philosophie ein. Für ihren Vater war Verkäuferin das höchste der Gefühle. „Wir haben kein Geld, dich studieren zu lassen“, sagte er und kaufte ihr eine Nähmaschine.

Vierzehn Tage später saß die 19jährige mit einem Koffer voller Schulbücher im Bus nach Berlin. Das war im Jahr 1969. Nach einem halben Jahr verdiente sie ihr Geld als Dolmetscherin und studierte Germanistik, Publizistik und Russisch. „Ich sog die deutsche Kultur, die Dichtung und Philosophie auf wie ein Schwamm“, sagt sie. Sie heiratete einen Berliner, redete mit ihren beiden Kindern aber nur serbokroatisch. Später gründete sie eine Frauengruppe, die sich mit den Nöten jugoslawischer Gastarbeiterinnen beschäftigte, und entwickelte Konzeptionen für Frauenläden für türkische und jugoslawische Frauen.

Heute ist ihre Arbeit zunehmend von den Flüchtlingen geprägt. „Diese Menschen haben Schreckliches gesehen und erlebt. Sie kommen aus einem intakten Leben, aus dem sie nie weg wollten. Und sie sind durch die Hölle gegangen, sie müssen erst wieder leben lernen. Der ersten Phase der Erleichterung folgen oft tiefe Depressionen und Perspektivlosigkeit“, hat sie beobachtet. In der Großbeerenstraße könnten sie Ruhe finden, ihre Geschichten erzählen.

Bosiljka Schedlich kennt diese Geschichten alle. Leise erzählt sie, daß der Schwager der Frau, die nebenan Kaffee kocht, geköpft, einer ihrer Schüler mit Autos auseinandergerissen wurde. Für die junge Frau, die wochenlang in einer riesigen Halle mit anderen vergewaltigt worden war und in Panik geriet, als sie hier in einer Turnhalle untergebracht werden sollte, besorgte sie einen Heimplatz. Mit dem Musikprofessor Nedzad Isabegović aus Bjelina, der von den Serben gezwungen worden war, die Straßen seiner Heimatstadt zu fegen, will sie eine Musikschule ins Leben rufen. Kinder unterschiedlichster Herkunft sollen sich dort begegnen, auch an gemeinsame Auftritte ist gedacht. Der Künstler Danilo Pravica ist jetzt der Leiter der Süd-Ost-Galerie, die mit seinen Werken im September eröffnet wurde. Mit dem Regisseur Niksa Eterović, der auch die Schauspielkurse im Haus und die Theatergruppe „Wind-Spiel“ leitet, gestaltet Schedlich ein Literaturcafé. „Ich kann die Geschichten dieser Menschen nur ertragen, wenn ich arbeite“, sagt Bosiljka Schedlich. Der Glaube, daß diese Zeit überwunden wird, ist das Licht am Horizont, das man halten muß wie die Glut auf dem Feuer meiner Großmutter.“

Entsprechend bleibt es im Süd- Ost-Europa-Kultur-Verein nicht bei der Kultur. Eine Psychologin bietet regelmäßig Gespräche mit Flüchtlingen an, die mit ihren Erinnerungen nicht fertig werden. Ein Pilotprojekt ist in Arbeit, in dem Ärzte und Krankenschwestern, die hier als Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, zumindest Beratungen für ihre Landsleute in den Heimen anbieten dürfen. Auch sollen sie in Krankenhäusern und Arztpraxen hospitieren können. Neben den zahlreichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen ist das Zentrum auch die Berliner Koordinationsstelle für Hilfsangebote. Zahlreiche Flüchtlingslager in Dalmatien werden betreut, eine medizinische Ambulanz soll bald von Split nach Zenica aufbrechen, und ein Solidaritätsfonds für Journalisten im ehemaligen Jugoslawien wurde eingerichtet.

Seit einem Jahr koordiniert das Zentrum auch die Frauenhilfsprojekte auf internationaler Ebene. Vor allem in den Kriegsgebieten selbst und in den umliegenden Flüchtlingshochburgen soll es Angebote für Flüchtlingsfrauen geben. So werden eine Weberinnenwerkstatt in Dubrovnik und auf Korcula sowie eine Stickschule mit Konvali-Stickerei unterstützt. „Die jungen Frauen dort, die arbeiten könnten, haben weder Arbeit noch Aussicht auf eine Beschäftigung. Sie verbringen ihre Tage in Trauer“, sagt eine der Koordinatorinnen. In den Projekten gewännen sie an Selbstwertgefühl, könnten miteinander reden und in die Gesellschaft integriert werden.

Auch das erste Berliner Frauenflüchtlingshaus, das vor knapp zwei Wochen aufmachte, geht auf die Initiative des Zentrums zurück. Ein zweisprachiges Notruftelefon soll als Anlaufstelle für Flüchtlingsfrauen dienen, die in ihren Berliner Unterkünften oft weiterer Gewalt ausgesetzt sind. Für das bislang ehrenamtlich arbeitende „Koordinationsbüro Frauen Kriegsopfer“ hat der Senat im September eine halbe Stelle bewilligt. Die Finanzierung des Notruftelefons ist allerdings nur bis Ende dieses Jahren sichergestellt.

Bosiljka Schedlich scheint in den letzten Monaten gewachsen zu sein, obwohl sie die hohen Absätze mit flachen Winterstiefeln vertauscht hat. „In all dieser Arbeit bin ich mutiger geworden, leichter und selbstbewußter“, sagt sie. Sie habe viel gelernt über die Strukturen der Macht und viel Respekt vor politisch Verantwortlichen verloren. „Man darf den Regierungen nicht zu viel überlassen, man muß selbst eingreifen.“