Medien in der Diaspora

Keine Funkfrequenzen für Exilanten  ■ Von Karl Gersuny

Wer die Lebenszeichen aus der Heimat hören will, muß lange wach bleiben. Erst weit nach Mitternacht wird der Empfang von Radio Bosnien-Herzegowina klar und deutlich. „Sarajevo, Heldenstadt, gib nicht auf“, tönt es dann aus dem Äther, „Sarajevo, wir stehen zu dir“. Gegen zwei Uhr nachts ist der Sender aus Sarajevo aufgrund von athmosphärischen Schwankungen bis in die Morgenstunden auf der Mittelwellenfrequenz 612 kHz europaweit zu hören. Das wissen auch die Radiomacher in Sarajevo und wiederholen deshalb die Hauptnachrichten des Tages, geben praktische Ernährungstips und allgemeine Überlebensregeln für die kalten Wintermonate. Außerdem füllen sie das Programm mit Hilferufen, Grüßen und patriotischen Liedern. Da meldet sich Amira aus Oslo und fragt, „Meine Liebsten in Tuzla, hört ihr mich? — Seht, ich lebe noch!“, Familie Dizdarević grüßt aus Goražde Nerko in Istanbul: „Junge, wir halten durch, mach dir mal keine Sorgen.“ Vor allem Amateurfunker stellen die Kontakte zwischen den Verdammten in den Enklaven Bosniens und der Fremde her. In allen Großstädten Europas sitzen die Funkaktivisten, und vorbei an Post und Telekom, die auch in Deutschland für diese Zwecke Funklizenen nur unwillig abtreten, bauen sie an einem dichter werdenden Kommunikationsnetz. Wer nachts keine Zeit zum Radiohören hat, kann am nächsten Morgen zur Nova Bosna greifen — der ersten bosnischen Tageszeitung in der Diaspora. Seit November erscheint dieses Blatt in Hanau und ist bundesweit an jedem besseren Kiosk zu haben. Auf zwanzig Seiten werden Nachrichten, Hintergrundinformationen und Reportagen über den Krieg und die politische Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien geboten. Doch Hasan Esmerović, Herausgeber und Chefredakteur von Nova Bosna, steht der Regierung in Sarajevo nahe, was in den Beiträgen durchschimmert. Es fehlt oftmals die gewünschte Distanz zu den Ereignissen, auch vermißt man derzeit noch Diskussionen und eine Leserbriefspalte.

Diese Niesche füllt Euro-Bosna, eine Wochenschrift aus dem gleichen Verlag. Dort überlegt man schon, beide Blätter aus Kostengründen zusammenzulegen. Noch schrecken die Hanauer Blattmacher allerdings davor zurück, weil ihre Abonnenten meist Flüchtlinge und Asylbewerber sind, die sich eine Nova Bosna für zwei Mark täglich nicht leisten können. Ihr Geldbeutel reicht gerade für die drei Mark in der Woche, die für Euro-Bosna hinzulegen sind. Alle anderen exilbosnischen Wochenschriften sind etwas teurer – dafür auf ein spezielleres Publikum zugeschnitten.

So wendet sich die internationale Ausgabe von Oslobodjenje eher an einen intellektuellen Leserkreis. Jeden Samstag gibt sie von Zagreb aus die wichtigsten Beiträge der Sarajevoer Kriegsausgaben wieder, vor allem Kommentare und Einschätzungen bekannter Politiker und Schriftsteller. Aber auch hier fehlt mehr und mehr der Diskurs oder die Auseinandersetzung mit Tabuthemen, wie den politischen Fehlschlägen der bosnischen Diplomatie oder der Aufarbeitung von Greueltaten, die von muslimischen Einheiten begangen wurden.

Eine klarere Position nimmt zu diesen Fragen das im slowenischen Ljubljana erstellte und europaweit vertriebene Magazin Ljiljan ein. Die Blattmacher sind gegen jede Form der Dreiteilung Bosniens und sprechen sich klar gegen die internationalen Friedenskonferenzen mit allen Plänen und Initiativen aus. Sie stehen zum Kampf mit allen Mitteln für die Einheit Bosniens. Gegner sehen in Ljiljan ein „fundamentalistisches Kampfblatt“ und ein Sprachrohr der „bosnischen Mudschaheddin“. Während Oslobodjenje im kroatischen Zagreb hergestellt und vertrieben wird, befindet sich Ljilan dort auf dem Index. Auch der Regierung in Sarajevo mißfallen mitunter die Beiträge. So machte das Blatt keinen Hehl daraus, daß ehemalige arabische Afghanistan- Kämpfer in Bosnien mitmischen und Waffen aus islamischen Staaten in die ehemals zentraljugoslawische Republik eingeschleust wurden. Andererseits führte Ljiljan aber auch eine Debatte darüber, wie Bosnien ein integraler Bestandteil Europas bleiben könne. An europäischen Kiosken ist das Blatt immer schnell ausverkauft.

Kaum gefragt ist das vierzehntägig erscheinende Blättchen 15dana aus Wien. Die Redakteure sind neben Bosniern auch Exilserben und Exilkroaten. Sie versuchen eine „gesamtjugoslawische Perspektive“ des Balkankrieges zu vermitteln. Sie sträuben sich gegen ein Großserbien, ein großkroatisches Reich und ein Klein-Bosnien radikaler Islamisten – und ziehen damit die Wut aller auf sich. Als ein liberales bosnisches Blatt versteht sich Bosna Pres aus Frankfurt. Es versucht zwischen den anderen Zeitungen eine Marktlücke zu finden und eine bessere Mischung aus analytischen Texten und Reportagen zu bieten.

Während die Information durch Printmedien in gewisser Weise gewährleistet ist, mangelt es an Radio- und Fernsehprogrammen. Derzeit gibt es nur in Slowenien und Frankreich einmal pro Woche TV-Sendungen für bosnische Flüchtlinge. Selbst die Deutsche Welle sendet nicht nach Bosnien. Programme für Bulgarien, Albanien, Ungarn oder Rumänien finden sich auf dem Sendeplan – die Menschen im bosnischen Kriegsgebiet werden vernachlässigt. Mehr noch: Die Deutsche Welle strahlt täglich nach Serbien proserbische, nach Kroatien prokroatische Meinungen und Stellungnahmen aus; die kroatischen und serbischen Redakteure können ihre jeweilige antimuslimische Grundhaltung offen kundtun. Ähnlich verhält es sich auch mit den sogenannten „Sendungen für ausländische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik“ vom WDR. Kroatisch und serbisch gefärbte Propaganda kommt von dort jeden Abend auf den Dritten Rundfunkprogrammen ab 21.40 Uhr über den Äther — Bosnier drehen dann besser ab.

Bei der BBC, Radio France International und der Voice of America achtet man dagegen mehr auf Ausgewogenheit. Zwischen vier- und achtmal täglich senden diese Stationen nach Ex-Jugoslawien. Dazu gesellt sich rund um die Uhr Radio Brod, das von einem Schiff vor der dalmatinischen Küste sendet und von der französischen Droit de Parole finanziert wird.

Aber auch die Bosnier haben hochfliegende Pläne. Sie basteln an einem eigenen Fernseh-Satellitenprogramm, das die spärlichen Fernsehsendungen aus Sarajevo europaweit übernehmen soll. Noch im vorigen Jahr war an eine kroatisch-muslimische Kooperation gedacht, doch die ist aufgrund der Entwicklung auf den Schlachtfeldern längst zerbrochen.

Nun sucht das zerstörte Bosnien nach einem neuen Fernsehsponsor. Der ist derzeit in Westeuropa nicht in Sicht. Auch das Deutsche- Welle-Fernsehen stellt seine Eutelsat-Frequenz dafür nicht bereit.