„Ich habe immer auf einer Bombe gelebt“

■ Im Prozeß um den zweifachen Luruper Kindermord kam gestern die Mutter zu Wort   Von Paula Roosen

Warum konnte niemand den Vater davon abhalten, seine Tochter und seinen Sohn zu töten? Unausgesprochene Beschuldigungen gegenüber der Mutter, den Bekannten der Eheleute und den Behörden nehmen in dem Prozeß gegen den 33jährigen Gartenbauarbeiter, der im April seine Kinder erwürgt hat, einen breiten Raum ein. Am gestrigen zweiten Verhandlungstag sagte die Ehefrau aus: „Ich habe immer gedacht, daß die Kinder es bei ihm gut haben“.

Die 33 Jahre alte Verkäuferin war im Frühjahr aus der qualvollen Beziehung zu ihrem Mann ins Frauenhaus geflohen. Zuvor hatte sie mehrfach versucht, sich von ihm scheiden zu lassen. Ließ sie sich überreden, zu ihm zurückzukehren, war hinterher „alles schlimmer als zuvor“. Kurz vor der Geburt des ersten der drei gemeinsamen Kinder soll er ihr in den Bauch getreten, sie später immer wieder verprügelt und ihr schließlich einen Couchtisch an den Kopf geworfen haben. „Ich habe immer auf einer Bombe gelebt“, schleuderte sie dem wenig interessiert wirkenden Vorsitzenden Richter gestern entgegen.

„Mein Mann konnte es nicht ertragen, arm zu sein“, so die 33jährige. Trotz des knapp bemessenen Einkommens der Familie habe er ständig teure Hifi- und Videoanlagen gekauft. Wenn sie es nicht mehr schaffte, die Familie unauffällig durch ein Leben auf Pump zu manövrieren, habe er „einen Wutanfall bekommen“. Im Frühjahr habe sie sich „ganz in Ruhe und normal wie andere Leute“ scheiden lassen wollen. Bei der Flucht ins Frauenhaus ließ sie die Kinder in der Dreizimmerwohnung in Lurup zurück.Eine fatale gerichtliche Sorgerechtsentscheidung sprach die drei Kinder im Alter von vier, sechs und zwölf Jahren vorläufig dem Vater zu, um sie nicht aus ihrem Umfeld in Kindergarten und Schule zu reißen. Die Mutter durfte ihre Töchter und den Vierjährigen zweimal pro Monat sehen. Bei einer Übergabe soll der Gartenbauarbeiter gedroht haben: „Wenn du die Kinder kriegst, bring' ich sie um“.

Die Mutter war in Begleitung eines Bekannten erschienen, den der Mann offenbar für ihren neuen Freund gehalten haben muß. Sie habe seine Äußerung so interpretiert, daß er es zwar ernst meinte, sich aber auf den Zeitpunkt nach einem endgültigen Beschluß über die elterlichen Sorge bezog, sagte sie gestern vor Gericht. Am selben Abend tötete der Angeklagte die Kleinen in ihren Betten, das zwölfjährige Mädchen konnte sich retten. „Ich hatte keinen neuen Freund“, schließt die 33jährige ihre Aussage, „warum hat er wegen einer so blöden Idee die Kinder umgebracht?“

Eine hilflose Sozialarbeiterin des zuständigen Amtes für soziale Dienste konnte gestern kaum etwas über den Alltag in der Familie des Gartenbauarbeiters beisteuern. „Ein Signal“, daß die Kinder schlecht behandelt würden, habe sie nicht bekommen. Die Kinder hätten auf sie einen schüchternen, aber keinesfalls vernachlässigten Eindruck gemacht. Auch der Vorgesetzte des Angeklagten will allenfalls Selbstmordabsichten seines Mitarbeiters, aber keine Gefährdung der Kinder gesehen bemerkt haben. Selbst der Bruder der Ehefrau konnte sich nicht erinnern, „je blaue Flecken“ oder andere Anzeichen von Mißhandlung bei den Kinder entdeckt zu haben.

Das Urteil soll noch vor Weihnachten gesprochen werden.