„Ich träume nachts, daß ich brenne“

■ Jugendliche zündeten Rollstuhlfahrerin an / Gewalt gegen Behinderte wächst

Hilflos ist sie nicht. Die 50jährige Rollstuhlfahrerin Roswitha Klein (Name geändert) erfährt ungewöhnlich viel Zuwendung und Unterstützung von ihren Nachbarn in Lurup. Aber wehrlos ist sie – gegen die verbalen und körperlichen Attacken, die sich in den vergangenen Monaten gegen die spastisch behinderte Frau mehren. Am Dienstag abend der vergangenen Woche wurde Roswitha Klein von Jugendlichen angezündet.

„Ich führte meinen Hund aus, da fing eine Gruppe von Jugendlichen an, mich zu beschimpfen“, schildert sie den Vorfall. „Spastikerin, sowas wie Du sollte hier nicht wohnen“, hätten die etwa 13- bis 16jährigen hinter ihr hergegröhlt. „Plötzlich wurde mir etwas auf den Kopf geschlagen, und meine Mütze fing an zu brennen“, erinnert sie sich. Obwohl sie die Kopfbdeckung sofort herunterreißen konnte, erlitt sie Verbrennungen zweiten Grades. Sie hatte die Täter nicht erkannt, stellte aber dennoch Strafanzeige. „Ich kann mir doch nicht alles gefallen lassen“, sagt die kleine Frau, deren Kopf immer noch dick bandagiert ist.

Viel müssen sich behinderte Menschen gefallen lassen, und das immer häufiger – von wachsender Aggressivität und Brutalität können viele erzählen. Kinder, die gehänselt werden, bis sie sich nicht mehr unter ihre Altersgenossen wagen, ältere Menschen, die angepöbelt werden, bis sie sich aus Furcht in ihren Wohnungen vergraben, Eltern behinderter Kinder, die auf der Straße beschimpft werden, daß sie „das“ nicht verhindert haben. Auch Telefonterror gehört in das Spektrum der gezielten Grausamkeiten. „All' meine Bekannten haben in der letzten Monaten schlechte Erfahrungen gemacht,“ berichtet Roswitha Klein. Erst kürzlich sei sie Augenzeugin eines schrecklichen und beschämenden Übergriffs geworden: Eine Rollstuhlfahrerin war von 13jährigen im Osdorfer Einkaufszentrum aus dem Rollstuhl gezerrt worden. Selbst als die Kids auf der Frau herumgetrampelt seien, hätte keiner der gaffenden Passanten geholfen.

Roswitha Klein macht aber nicht nur schlechte Erfahrungen in ihrem Stadtteil. Ihre Nachbarn haben in der Vergangenheit häufig eingegriffen, wenn sie von Kindern und Jugendlichen angepöbelt wurde. Auch jetzt wird sie immer von jemandem bei ihren Einkäufen und Spaziergängen begleitet. „Ich habe nachts immer noch Alpträume“, sagt sie, „ich träume, daß ich brenne.“

Für den GAL-Abgeordneten Peter Zamory sind diese Angriffe ein Zeichen dafür, daß „ein Damm gebrochen ist“. „Diese Jugendlichen fühlen sich nur als Ausführende dessen, was überall gedacht wird“, so Zamory. Mit einer Anfrage will die GAL nun in Erfahrung bringen, ob Behinderte in der Hamburger Polizeistatistik vermehrt als Opfer von Gewalttaten auftauchen. Der Behindertenbeauftragte Niedersachsens registrierte alleine von Juni 1992 bis März '93 53 Übergriffe. Sannah Koch

Informationen über Gewalttaten an: Landesarbeitgemeinschaft Behinderte, Tel: 299 5666