Spielzeugbäume brauchen Pflege

Von der Selbsthilfe im Kinderzimmer zur Weihnachtszeit und dem fiesen Kater, der immer noch fremde Stiefel klaut: „Die Reise nach Pitschepatsch“ und „Der gestiefelte Kater“ – Zwei Musicals für Kinder  ■ Von Friederike Freier

„Kein Spielzeug hamse, keine Zeit hamse, und weg sind sie auch noch“ – schreckliche Menschen, diese Erwachsenen. Daß Eltern, laut und recht harmonisch singend, den Rückzug aus dem Kinderzimmer antreten, macht sie auch nicht besser. Aber damit haben sich die Kinder im Weihnachtsmusical „Die Reise nach Pitschepatsch“ im Friedrichshainer Theater im Kino schon abgefunden. Ebenso damit, daß kurz vor Weihnachten sämtliches Spielzeug kaputtgeht oder verschwindet. Leider versagt hier allerdings auch der Weihnachtsmann.

Nur mit einem Reisigbüschel als Rute kann er beweisen, daß er keine Attrappe, sondern tatsächlich Weihnachtsmann ist. Was die Geschenke angeht, sieht es trübe aus. Kein einziges kann er versprechen; sein Sack spottet jeder Beschreibung: rot zwar, aber klein, schlabberig und leer wurstelt ein Beutelchen auf seinem Rücken herum. Immerhin ist dieser mißratene Alte in der Lage, den Kindern im Theater den Grund der Misere zu sagen: Der Spielzeugbaum ist vertrocknet. Die Erwachsenen (wer sonst?) sind schuld daran; sie haben vergessen, ihn zu gießen, und keiner von ihnen hat Zeit, den Mißstand zu beheben.

Also muß Klein-Millipilli zur Mini-Insel Pitschepatsch reisen, um den Spielzeugbaum zu gießen. Ganz allein zieht sie los, weil laut Auskunft des Weihnachtsmanns auf Pitschepatsch nur der Baum, Großmutters silbrig-grüne Gießkanne und eine Gießbeauftragte Platz haben. Millipilli zieht los, ohne zu wissen wo's langgeht: Wie man nach Pitschepatsch kommt, weiß der Weihnachtsmann auch nicht. Sie solle doch beim Polizisten nachfragen, rät er.

Die Schauspieler vom Theater im Kino sind zwischen fünf und siebzehn Jahre alt und spielen ihre Rollen hingebungsvoll. Für die „Reise nach Pitschepatsch“ hat Regisseurin Bärbel Retemeyer zwei verschiedene Besetzungen ausgesucht, die sich bei den Aufführungen abwechseln. Die Kids können einfach alles – sie singen, soufflieren sich gegenseitig und bauen auch noch ihre Bühne selber um. Die ist von Bühnenbildner Michael Berthold mit dreieckigen Säulen ebenso sparsam wie geschickt eingerichtet: Säulen zur Seite – schon hat sich das improvisierte Kinderzimmer mit Hilfe entsprechender Geräuschkulisse (hupen, quietschen, krachen) in eine Straßenszene verwandelt, auf der sich ein Polizist abrackert. Um von dort aus über einen Wald nach Pitschepatsch zu gelangen, muß man die Säulen nur wieder in die Mitte ziehen und immer eine andere der drei Seiten zum Publikum drehen.

Millipilli (Katharina Enders/ Mareen Herrmann) muß durch Wiesenstein und Fressalien reisen, um zum Meer zu gelangen, in dem Pitschepatsch liegt. Keine Frage, daß sie das schafft. Sie bringt auch noch zustande, einen Gefährten nach Fressalien zu bugsieren – den ewigschläfrigen Müde (Maik Neudorf), der nur dann munter wird, wenn es was zu essen gibt. Wenn Erwachsene zu doof sind, um für Spielzeug zu sorgen, schaffen es die Kinder sich allemal heran – unterstützt von wundersamen Geistern und zahlreichen neuen Kinderliedern.

Auch um die Musik kümmert sich notfalls Millipilli: Wenn die Kehlen der Tagtigallen (Verwandtschaft der Nachtigall) verstimmt sind – Millipilli repariert sie und verschafft damit dem Publikum ein Extra-Lied. Hilf dir selbst, heißt die Botschaft des Musicals von Rainer Hachfeld, Volker Ludwig und Horst A. Haß (Musik).

Zur Selbsthilfe rät – frei nach Grimms Märchen und in einem anderen Theater – auch der Kater seinem Herrn, dem Müllerssohn. Der aber ist nicht nur arm und gutherzig, sondern auch noch dumm und schüchtern, und trotz der Bemühungen seines Katers bleibt er das auch. Axel Poike (Buch/Regie) und Thomas Bürkholz (Musik) haben das Märchen als eine Produktion des Theaterprojekts TheMa zu einem Musical verarbeitet.

Bei ihnen ist der Kater der Alleinunterhalter: Gekleidet in Silber und Purpur, klaut er sich passende Stiefel beim König und gibt sich kapitalistisch: „Wer gut blenden kann, der kommt auch voran“ – ein Konzept, das hier nur deshalb leidlich aufgeht, weil in Poikes Stück dem Kater auch die königliche Familie das Wasser nicht reichen kann: Der König ist blind vor Geiz und die Prinzessin langweilig, blaß, verheult und will nur eins – weg von Papa.

Überhaupt ist Axel Poikes Adaption alles andere als originell. Sie hält sich weitgehend an die Grimmsche Vorlage, in die ein paar poppige Liedchen (als Playback) eingebaut sind, damit das Ganze als Musical durchgehen kann.

„Die Reise nach Pitschepatsch“ von Rainer Hachfeld und Volker Ludwig, Musik: Horst A. Hach, Regie: Bärbel Retemeyer; weitere Vorstellungen am 19. und 26.12. um 15 Uhr sowie am 23. und 27. bis 30.12. um 10 Uhr im Theater im Kino, Proskauer Straße 19, Friedrichshain.

„Der gestiefelte Kater“, Text und Regie: Axel Poike, Musik: Thomas Bürkholz, weitere Vorstellungen am 19.–22.12.10 und 14 Uhr im Weißen Saal der Kongreßhalle am Alexanderplatz, Mitte.