Menschen wie du beziehungsweise ich: Ich Von Claudia Kohlhase

Ich warte stündlich auf Weihnachten. Und mit mir meine Weihnachtsgans, mein Weihnachtsbaum, meine Weihnachtskatze und meine Weihnachtsspinne. Meine Weihnachtsgans wartet im Ofen und macht ab und zu zisch, mein Weihnachtsbaum wartet im Wohnzimmer und läßt mich nicht mehr rein, meine Weihnachtskatze wartet im Katzenklo, weil sie vor Aufregung Durchfall hat, und meine Weihnachtsspinne spinnt total und häkelt ununterbrochen Lichterketten.

Wir haben jetzt schon ziemlich viele, wobei einige nicht nur blinkern können, sondern auch „Stille Nacht“ singen, wenn jemand im Katzenklo die Lichtschranke durchbricht. Mein Leben ist dadurch ein bißchen anstrengend geworden. Manchmal wickel' ich mich schon mittags in mein Bett, um sicherzugehen, nicht irgendwo auf Weihnachten zu treten. Ernstlich beunruhigt bin ich jedoch erst seit heute morgen, als ich die Erscheinung hatte.

Es schien von außen zu klopfen, aber es kam von innen, vom Herzen her. Und als ich aufmachte, da stand Maria vor mir, allerdings ohne Kind, weshalb ich sie nicht gleich erkannte.

Endlich aber sprach ich zu ihr: O Maria! Und sie erwiderte: O du! Dann sagte ich: Maria, was soll ich machen, ich kann nicht mehr! Weihnachten muß im Prinzip sofort kommen! Da sprach Maria: Ich bin gekommen, um dich zu erlösen! Ich wieder: O toll! Maria: Gehe also in dich! Wie bitte, sprach ich, denn ich hatte nicht richtig verstanden, weil meine Weihnachtsgans gerade so laut zischte und die Lichterketten Kanon sangen. Du sollst in dich gehen, wiederholte sanft Maria. Aber wohin komm' ich denn da? fragte ich wieder. Na ja, sprach Maria, und ich merkte, daß sie unsicher wurde, vielleicht triffst du weiter unten Josef. Was soll ich denn mit Josef? erwiderte ich. Gott ja, sagte Maria, stimmt eigentlich. Da fiel mir ein: Könnte ich nicht die Heiligen Drei Könige treffen? Also in der Phase, wo sie grade entnervt die Krippe suchen und bloß noch ihre Geschenke loswerden wollen? Das fand Maria jetzt nicht so gut, und sie schlug vor, ich könnte ja woanders in mich gehen und nicht gerade auf der Strecke, wo's mir so paßte. Überhaupt sei der Weg nach innen das Ziel und nicht Myrrhe oder so.

Ich wurde schuldbewußt, schließlich war Maria ja nicht irgendwer, sondern eben Maria. Weil Maria aber eben auch Maria war, tat ich ihr langsam leid. Sie wiegte den Kopf und sprach: Okay, dann geh eben nicht in dich, sondern nach draußen, fahre etwas Ski! Was, rief ich nun in höchster Not, Maria!! Wieso soll ich denn wedeln und kalte Füße kriegen? Mein Gott, sprach jetzt entnervt Maria, dann laß es halt. Da wurde ich endlich wütend und brüllte: Du hast vielleicht gut reden! Du hast zig Hirten und Konsorten, die dich auf den rechten Weg bringen. Aber unsereins sitzt solange dumm rum und muß nebenher noch arbeiten! Plötzlich war ich der Bedeutung meiner Lage nicht mehr gewachsen und fiel in ein Erschütterungskoma.

Als ich aufwachte, war meine innere Maria verschwunden. Aber ein heller Schein durchzog die Wohnung, und die Weihnachtskatze hatte auf einmal Verstopfung. Da wußte ich, daß alles keine Einbildung gewesen und ich Ausgangspunkt eines Wunders geworden war, wenn auch eines mickrigen.