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Jahrhundertdeal der Treuhand

Vier Jahre Privatisierung in Ostdeutschland haben eine Industrieruinenlandschaft und ein Milliardendefizit hinterlassen  ■ Von Annette Jensen

„Vielleicht hätte die Treuhand sogar mit einem Plus abschließen können“, meint der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi, der zusammen mit 14 anderen Abgeordneten seit Oktober im Treuhanduntersuchungsausschuß sitzt. Tatsächlich aber werden nach der neusten Prognose aus dem Hause Breuel 275 Milliarden Mark Miese in der Bilanz stehen, wenn die meistgehaßte Institution in den neuen Bundesländern Ende nächsten Jahres ihre Pforten schließt. Und von den einst über vier Millionen Arbeitsplätzen, die es in den ursprünglich 8.000 Treuhandbetrieben gab, sind gerade noch 1,3 Millionen übrig. Zurück bleibt eine Industrie-Ruinenlandschaft. War der Kahlschlag zu verhindern? Und wenn ja, wer trägt die Verantwortung? Mit Sicherheit ist der Kollaps der DDR-Wirtschaft auf ein Bündel von Faktoren zurückzuführen: Die schnelle Währungsunion, die zusammengebrochenen Ostmärkte, die fehlende Sanierungspolitik der Treuhand, Mißmanagement und Betrügereien, aber auch fehlende wettbewerbsfähige Produkte.

Erst vor kurzem wurde auf Antrag der SPD ein Treuhanduntersuchungsausschuß gegründet. Die Parlamentarier wollen prüfen, ob die Treuhand sich an Recht und Gesetz gehalten hat und ob heute unnötig viele Ostdeutsche stempeln gehen müssen. Es bleibt nur wenig Zeit, um das Wirken der Mammutinstitution in Berlin zu durchleuchten. Kurz vor der Bundestagswahl im nächsten Spätherbst soll der Bericht vorliegen. Absehbar ist, daß die SPD das Versagen des aufsichtspflichtigen Bundesfinanzministers ins Zentrum stellen will. Die Regierungsparteien hingegen sind durchaus bereit, ein paar Bauernopfer zu bringen, wenn dadurch die Minister aus der Schußlinie kommen. An der Politik der Treuhand ändern wird der Ausschuß freilich nicht mehr viel. Schließlich sind nach der letzten Ausverkaufsaktion nur noch zu Skeletten abgemagerte Großkombinate wie Buna oder Sket übriggeblieben – Firmen, für die es außer dem Subventionstropf noch immer keine Perspektive gibt. „Wir sind in der Rolle des Obduzenten, der feststellt, warum der Patient gestorben ist und nicht des Arztes, der noch helfen kann“, stellt der Ausschußvorsitzende Otto Schily (SPD) klar.

Der größte Sargnagel: Die D-Mark-Einführung

Die Bundesregierung und mit ihr die West-SPD hatten die wohl entscheidenste Weiche für die DDR- Wirtschaft bereits im Februar 1990 gestellt. Die Sozialdemokratin Ingrid Matthäus-Maier forderte schon im Januar die D-Mark für ganz Deutschland – natürlich zum Umtauschkurs von eins zu eins. Finanzminister Theo Waigel (CSU) sträubte sich zunächst. Dramatische Szenarien vom stündlich bevorstehenden Kollaps der DDR- Wirtschaft wurden lanciert. Eine Woche später vollzog Waigel eine Kehrtwende. Der Grund: Das D- Mark-Versprechen war seine Wahlkampfhilfe für die zerstrittenen Ostkollegen. Und die Bundesregierung hoffte, so die Massenflucht in den Westen zu stoppen.

Die Ökonomen warnten vergeblich vor dem Währungsschock. Sie prognostizierten schon im Frühjahr 1990, daß mit einer schnellen Einführung der D-Mark kein einziger DDR-Betrieb mehr wettbewerbsfähig sein würde und schlugen ein schrittweises Vorgehen vor. „Die D-Mark-Konvertibilität nach dem Krieg dauerte schließlich auch bis 1957 – und damals gab es wegen des Koreakriegs sogar einen Exportboom“, so der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl. Selbst die robusteste Volkswirtschaft hätte eine solche Roßkur nicht verkraftet.

Die Regierung blieb stur: Sie beschloß für die deutsch-deutsche Wirtschafts- und Währungsunion zum Juli 1990 einen Umtauschkurs von eins zu eins für alle laufenden Zahlungen. Intern kalkulierte die DDR-Exportwirtschaft bis dahin mit einem Kurs von rund 4,5 Ostmark für eine Westmark. Die quasi 450prozentige Aufwertung über Nacht verschreckte die Handelspartner in Osteuropa. – „Freie Fahrt für Deutschland. Um Mitternacht fielen alle Grenzen, und die D-Mark war da!“ jubelte am Tag nach der Währungsunion die Bild- Zeitung. Für viele Treuhandbtriebe aber begann die Fahrt in Richtung Konkurs. Schon im Juli konnten 5.000 der 8.000 Firmen Löhne und Material nicht mehr bezahlen und forderten 23 Milliarden Mark Kredit. Zunächst völlig undifferenziert gewährte die Treuhand allen Antragstellern 41 Prozent der beantragten Summe. Ohne die Finanzspritze wären die meisten, auch sanierungsfähigen, Unternehmen bereits im Sommer 1990 vor dem Konkursrichter gelandet. Schlagartig sank die Produktion in der DDR im Juli um 34,9 Prozent. Fast alle Treuhandbetriebe schleppten außerdem einen Schuldenberg bei der DDR- Staatsbank mit in die Marktwirtschaft, der ebenfalls in harte D- Mark umgewandelt wurde. Kaum ein Unternehmen ließ sich später verkaufen, ohne daß die Privatisierungsanstalt zuvor die roten Zahlen übernahm – ein großer Teil des Bilanzlochs der Treuhand ist hierauf zurückzuführen.

Treuhand zwischen Schulden und Gesetzen

Inzwischen ist schon weitgehend in Vergessenheit geraten, daß die Treuhand vom Runden Tisch der DDR ins Leben gerufen wurde. Die Betriebe sollten vor dem unkontrollierten Zugriff westlicher Kapitalisten und alter, ostdeutscher Firmenleiter geschützt werden, die Erlöse den DDR-BürgerInnen zugute kommen. „Auch ich nahm damals fälschlicher Weise an, daß bei der Privatisierung netto ein Überschuß rauskäme“, räumte Pöhl letzte Woche im Untersuchungsausschuß ein. Mit einigen hundert Milliarden Mark rechnete auch die Bundesregierung, die im Sommer 1990 auf eine Novellierung des Treuhandgesetzes durch die DDR-Volkskammer drängte. Vom Tag der deutschen Einheit an war die größte Industrieholding der Welt dem Bundesfinanzministerium unterstellt. So schnell wie möglich verkaufen, war die Devise der Regierung – Sanierung und Strukturpolitik interessierte sie nicht.

Chaos ohne Perspektive

Kaum einen Westmanager reizte die Arbeit bei der Treuhand. Der Ex-Bahn-Chef Rainer Maria Gohlke, der im Sommer 1990 nur einen Monat als Treuhand-Präsident agierte, bekam seinen Job etwa zehn Tage vor Diestantritt per Telefon angeboten – von der Bundesregierung wohlgemerkt, obwohl die DDR noch existierte. „Die Treuhand war ein sehr maroder Laden, in dem totales Chaos herrschte“, beschrieb er im Untersuchungsausschuß seinen Arbeitsplatz, „für Strategiediskussionen gab es keine Zeit.“ Schnell und unkonventionell habe man die Arbeitsgruppen zusammengestellt. „Ich versuchte, darauf zu achten, daß keine Konflikte entstanden“, erklärte er die Personalpolitik. Nicht gefragt wurde, wer besser nicht in der Treuhand mitarbeiten sollte. So konnten sich alte SED- Kader noch eine Weile in der Anstalt tummeln.

Im August 1990 vertrauten die Ostdeutschen der Managerriege noch ungebrochen. Als „Wundermänner“ habe man sie begrüßt, so Gohlke. Über die katastrophale ökologische und ökonomische Situation banden die Wessis den künftigen Bundesbürgern einen Bären auf. „Das hätten sie damals nicht geglaubt“, verteidigt sich der Kurzzeit-Chef. Ihm selbst sei schon damals klargewesen, daß Firmenzusammenbrüche und Massenarbeitslosigkeit unvermeidlich seien. Um eine Erklärung, ob sein zentraler Konflikt mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und späteren Nachfolger, dem Hoesch-Chef Detlev Rohwedder, darin bestand, daß er für eine stärkere Sanierung, Rohwedder dagegen für einen möglichst schnellen Verkauf plädiert habe, drückte sich Gohlke herum. Klar jedenfalls ist, daß die Treuhand ab Herbst 1990 eindeutig auf das Primat der Privatisierung setzte. In einem Brief an alle Mitarbeiter vom März 1991 schrieb Rohwedder unzweideutig: „Privatisierung ist die wirksamste Sanierung.“

Investitionen in neue, marktfähige Produkte lehnte die Treuhand fast immer mit dem Hinweis ab, man wisse ja nicht, ob ein potentieller Käufer nicht ganz andere Pläne habe. Durch Entlassungen wurde versucht, die Betriebe billiger und damit attraktiver zu machen. Das meiste Geld, das die Breuel-Behörde für Sanierung veranschlagte, ging für Sozialpläne und die Übernahme von Altschulden drauf. Erst als klarwurde, daß sich für die großen Firmen wie Leuna oder Buna keine Käufer finden ließen und Kanzler Kohl Ende 1992 wegen der zunehmenden Proteste die Erhaltung nicht weiter definierter industrieeller Kerne proklamierte, begann die Treuhand zaghaft, sich als Unternehmerin zu engagieren. „Wir haben unseren ersten Sanierungsplan im Herbst 1990 vorgelegt“, erzählt eine Buna-Sprecherin. Aber dieser sei, genau wie einige weitere, lediglich „zur Kenntnis genommen“ worden. Erst das Konzept vom letzten Herbst habe endlich Gnade gefunden, so daß demnächst auch Geld für Neuinvestitionen da sei.

Die Käufer aber standen dennoch nicht Schlange: Nicht nur die Entscheidung der Regierung für das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung verhinderte viele Investitionen. Auch die ökologischen Altlasten ließ viele zurückschrecken. Außerdem war absehbar, daß die Preise immer weiter sinken würden – warum sich also beeilen?

Auf Branchenzusammenhänge und die Funktion einzelner Betriebe achtete die Treuhand kaum. Sie zerlegte zunächst die großen Kombinate und ließ die Investoren lukrative Firmenteile herauspicken. Nicht nur den weniger profitablen Produktionsstätten, die vielleicht im Verbund durchaus eine Sanierungschance gehabt hätten, wurde so häufig der Garaus gemacht. Oft genug verloren auch die einstigen Zulieferer auf diese Weise ihre Kunden, weil die Westfirmen die Ostbetriebe als velängerte Werkbänke benutzten.

Finanziell belohnt wurden die Treuhandmitarbeiter, die möglichst schnell ihre Betriebe verscherbelten. Um ihre Entscheidungsfreude nicht zu hemmen, sicherte die Bundesregierung ihnen im Dezember 1990 zu, daß sie für Fehlentscheidungen nicht haften müßten – bis Juni 1991 sogar bei grober Fahrlässigkeit.

Lange Skandalbilanz

Mit der Zeit kamen immer mehr Skandale im Zusammenhang mit der Privatisierung ans Licht. Die Investoren zogen nicht nur viele Treuhandmitarbeiter, die gerade erst die Unis verlassen hatten, über den Tisch. Zum Teil plazierten sie auch ihre Mitarbeiter direkt in der Anstalt, so daß sie bei den Verhandlungen leichtes Spiel hatten. Richtlinien für die Verträge existierten lange Zeit so gut wie nicht. Bis zum Sommer 1991 mußten Investoren keine Strafen befürchten, wenn sie Arbeitsplatzzusagen nicht einhielten. Das Stahlwalzwerk in Oranienburg beispielsweise, das von Krupp Ende 1990 übernommen worden war, wurde im Frühjahr 1993 geschlossen – trotz der im Vertrag zugesagten Sicherung der Arbeitsplätze. Die „moralische Verpflichtung“, auf die die Treuhand in solchen Fällen hinwies, nützte den Entlassenen wenig. Die westdeutsche Industrie aber hatte einen Konkurrenten los.

Beliebt war es auch, die ostdeutschen Firmen auszuspionieren, um sich dann ihre Pläne selbst zunutze zu machen. Die Filmfabrik Orwo in Wolfen, wo Agfa durch Kooperationsverhandlungen an zahlreiche Betriebsinterna herangekommen sein soll, ist ein Beispiel dafür. Sehr entgegen kam den Pseudoinvestoren dabei die Gewohnheit der Treuhand, den Interessenten schon früh Einblick in die Geschäftsberichte zu gewähren. Immer wieder stießen Journalisten auf Fälle, in denen Grundstücke und Betriebe weit unter Wert verscherbelt wurden. Gelegentlich reichten schon eine edel aussehende Visitenkarte, eine selbstverfaßte Bürgschaft oder der gute Draht zu hohen Treuhandmanagern aus, um ein extrem günstiges Angebot zu bekommen. Der Spiegel deckte etwa auf, daß das auf 130 Millionen Mark geschätzte Geräte- und Reglerwerk Teltow für eine Mark verkauft wurde. Und nicht selten wechselte der zuständige Treuhandmitarbeiter oder ein Berater, der einen Betrieb vorher bewertet hatte, anschließend auf den Geschäftsführersessel.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft in rund 450 Fällen; viele dubiose Geschäfte aber sind mit Sicherheit bis heute noch nicht aufgeflogen und werden auch unentdeckt bleiben: Die Revisionsabteilung der Treuhand arbeitet erst seit 1991 und ist schwach besetzt. Die Öffentlichkeit hat keine Chance, die Entscheidungen der Treuhand nachzuvollziehen. Investorenschutz heißt die stereotype Auskunft. Theo Waigel will die Akten selbst den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses vorenthalten.

Unterm Teppich halten will die Regierung wohl vor allem auch Informationen über die eigene Schlamperei. Ernst Heuer, Vizepräsident des Bundesrechnungshofes, machte der Regierung Anfang Dezember bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuß schwere Vorwürfe: Obwohl der Rechnungshof immer wieder auf Mißstände aufmerksam gemacht habe, habe sich das Finanzministerium „um gar nichts gekümmert“ und auf Überprüfungen an Ort und Stelle sogar bewußt verzichtet.

Das letzte Jahr

Mit Einnahmen kann die Treuhand so gut wie nicht mehr rechnen – im Gegenteil. Der Finanzplan für das letzte Haushaltsjahr sieht Einnahmen von 11,1 Milliarden und Ausgaben von 50,7 Milliarden Mark vor. Schon 1994 werden 10,5 Milliarden für Kreditzinsen fällig. „Der Treuhandanstalt ist nicht vorzuwerfen, daß sie dem Steuerzahler eine zins- und Tilgungslast für den hinterlassenen Schuldenberg von 275 Milliarden Mark abfordert, sondern daß die Mittel nicht zur Stärkung der Wirtschaftskraft eingesetzt worden sind“, resümiert der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel.

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