■ Der Kanzler und sein Bildungsgipfel II
: Laßt die Puppen tanzen!

Nach dem grotesken ersten Bildungsgipfel am 11.11., zu dem der Kanzler seine Minister mit Sitzungsprofis aus Verbänden und Kommissionen zusammengeführt hatte, gestern nun Bildungsgipfel II. Noch ein gescheiterter Versuch. Der Kanzler traf sich mit den Ministerpräsidenten und einer Ministerpräsidentin. Reichte das Palaver am 11. 11. nicht mal zu gemeinsamen Proklamationen, so stand diesmal die Unmöglichkeit, sich zu einigen, schon vorher fest. Kohl drängt darauf, die Schul- und Studienzeiten bald zu kürzen. Er droht dem populären Sündenbock dieser Nicht-Bildungspolitik, den Langzeitstudenten, mit der Rute: Zwangsexmatrikulation. Die Länder wollen ebenfalls kürzere Studienzeiten per Gesetz beschließen. Das nennen sie Studienreform und fordern dazu vom Bund mehr Geld, um halbwegs akzeptable Studienbedingungen zu schaffen. Das Geld will der Bund nicht geben. Manche Länder wollen, wie der Kanzler, das 13. Schuljahr einsparen, andere nicht. Der Riß geht selbst durch die CDU/CSU. Das war's. Ein stammelnder Gipfel der Ratlosigkeit. Indessen verlangt mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zwischen 14 und 24 nach einer „starken Hand“ für das Land, wie eine diese Woche vom Gleichstellungsministerium in Düsseldorf veröffentlichte Studie herausfand.

Nirgendwo auf der großen politischen Bühne ist die Agonie der Politik so erschreckend wie in der Bildungspolitik, deren Thema doch die Zukunft sein müßte. Wir müssen endlich einsehen: die Politiker- Politik ist unfähig, die notwendige Selbsterneuerung von Schulen und Hochschulen einzuleiten. Aber wo ist die Politik der Bürger? Die Studenten wachen auf. Zögernd. Denn sie wissen, es hat keinen Sinn, mit Gebrüll zum Rathaus zu ziehen. Sie haben gelernt, Politikdarsteller nicht mit denen zu verwechseln, die sich für die Polis einsetzen. Eine ambivalente Klugheit. Wenn aus ihr nicht der Mut folgt, im eigenen Namen zu sprechen, dann wird noch rigoroser an die „starke Hand“ delegiert werden.

Immerhin: Es gärt. Bei Studenten, die wissen, wenn sie selber keine Alternativen entwickeln und dafür keine Bündnispartner finden, wird nichts besser werden. Mehr Geld für die Hochschulen ist wohl wichtig, aber der wache Geist und die leidenschaftliche Debatte sind allemal dem Fiskus überlegene Energieformen. „Die Hochschulen sind zu Apartmentburgen der Spezialisten verkommen“, räumt Gerhard Neuweiler, ein kluger Biologieprofessor und derzeit Vorsitzender des Wissenschaftsrates, ein. Also bewohnt die Apartments mit Ideen! Wir erwarten hier viele Gipfel. Dann werden auch in Bonn die Puppen tanzen. Reinhard Kahl

Freier Journalist, lebt in Hamburg