■ Die Frauenfrage im vereinten Deutschland
: Stillstand? Rückschlag!

Es gibt eine müßige Spielart der Diskussion um den backlash, den Rückschlag gegen die Frauen(-bewegung): sie dreht sich um die Frage, ob es den Frauen „früher“ besser ging als heute. Es gibt aber eine andere Spielart, die Sinn macht: wenn sie sich um die Frage dreht, warum Frauenthemen zur Zeit keine Konjunktur haben oder, besser, warum die Gleichberechtigung der Geschlechter kein krisensicherer Punkt bundesdeutscher Politikprogramme ist.

Schon daß sich im Grunde niemand für die Frage, ob es einen solchen backlash gibt, so richtig interessiert, daß es „wichtigere Probleme“ gibt, ist, so trivial es auch klingen mag, schon der eigentliche Kern eben dieses Rückschlags. Die Anerkennungskämpfe im vereinigten Deutschland sind härter geworden; dabei kippen die sogenannten Frauenthemen als erste weg. Zur Plausibilisierung dieses Befundes braucht man nur zu verweisen auf die signifikant hohe Frauenerwerbslosigkeit besonders in den neuen Ländern; auf die verlorenen, verschobenen Kämpfe um die Abschaffung des Paragraphen 218; auf die beharrlich gleichbleibenden drei Prozent Frauen auf bundesdeutschen Führungsebenen. All dies ließe sich gegebenenfalls noch als Stillstand beschreiben. Zu einem Rückschlag wird die Situation erst durch die andere Seite dieses gesellschaftlich-ökonomischen Befundes: durch dessen ideologische Begleitung und Aufbereitung.

Begleitet wird dieser Stillstand durch das zunehmend beredte Schweigen zu feministischen Themen auch und gerade in den sich als links bis liberal verstehenden Medien. So hielt es etwa weder taz noch FR für nötig, ihre LeserInnen über die Vorbereitungen zu einem bundesweiten Frauenstreik zu informieren; oder über die langwierige Diskussion um das Frauenstatut bei den Bündnisgrünen.

Doch das ist nur die Begleitung. Wichtiger ist die Aufbereitung dieses Stillstandes durch den neuen Zeitgeist, der es sich gestattet, feministische Themen nicht nur zu marginalisieren, sondern auch zu diffamieren. Ein Blick in die Feuilletons reicht, um einen Bilderbuchtext eben dieses Zeitgeistes zu finden. Er stammt von Vorzeigeossi Wolfgang Engler, der sich schon im letzten „Kursbuch“ öffentlich über den Verfall der Tischmanieren in Westberliner Cafés ärgern durfte. In der letzten Zeit (10. 12.) ist es zur Abwechslung der Verfall der Gesprächskultur, den er beklagt; an erster Stelle steht die „Sexualisierung der Diskurse“. Er „spreche ja wie ein Mann“, mußte sich Engler anhören, und der „Rationalitätsgewinn dieser Primärunterscheidung“ mochte ihm gar nicht einleuchten. – In schöner Offenheit beschreibt er sein Schreckenstraumbild des angeblich idealen West-Diskurssubjekts als „weiblich“ und „universell erregbar“. Nun ja. Man möchte ihm gerne eine Lektüreliste in die Hand drücken, damit er nicht nur schlau den schönen Begriff der „sexualisierten Diskurse“ verwenden kann, sondern sich vielleicht auch mal den einen oder anderen Gedanken darüber macht, in welcher Weise die Kategorie Geschlecht in der Tat in alle möglichen Diskurse eingetragen werden muß und in ihnen immer schon eine Rolle spielt. Aber es geht hier nicht um die Lese- und Denkgewohnheiten von Herrn Engler, sondern darum, daß Engler sich mit dem Gestus herablassender Empörung äußern kann in der sicheren Erwartung, die LeserInnenmehrheit auf seiner Seite zu haben. Nun gehört weder viel Einsicht noch viel Mut zu der Behauptung, daß solche Texte noch vor fünf Jahren zumindest nicht in diesem Herrschaftsgestus geschrieben worden wären. Woher dieser Umschlag?

In Umbruchzeiten regredieren Gesellschaften am ehesten dort, wo die Umwandlung der Werte sich am instabilsten erweist: die Gleichberechtigung der Geschlechter ist eine vergleichsweise neue Errungenschaft in der Werteskala unserer Gesellschaft. Wie brüchig sie sich noch im Bewußtsein festgesetzt hat, zeigt sich eben an der umstandslosen Rückkehr zur gewohnten Tradition, zu bekannten und bewährten Werten (man erinnere sich nur an die Heitmann-Äußerungen) und daran, daß das Insistieren auf der Idee gleicher Rechte und gleicher Freiheiten aus dem Begriffsrepertoire zu verschwinden droht.

Wirkungsmächtig wird diese Regression im vereinigten Deutschland jedoch erst wirklich durch die Verschiebung der kulturellen Hegemonie in den öffentlichen Diskursen, mit der das Zurückdrängen feministischen Bewußtseins einhergeht. Auf der einen Seite ist das nationale Geraune von Botho Strauß allemal interessanter als die nüchtern liberaldemokratischen Ausführungen von Habermas: Debatten löst noch die letzte larmoyante Lyrik zur nationalen Frage aus, während mit soliden Analysen von Minderheitenrechten niemand mehr gewinnen kann. Feministische Anliegen werden jedoch, wenn überhaupt, von der marginalisierten liberal- oder radikaldemokratischen Tradition vertreten. Derzeit ist es immer interessanter, sich um die nationale Identität zu sorgen, als sich den Verunsicherungen der Geschlechtsidentität auszusetzen.

Auf der anderen Seite ist es spätestens seit der Wende schick, nicht mehr zu wissen, was „links“ und was „rechts“ ist: Wer sich darin gefällt, solcherlei Unterscheidungen nicht mehr zu kennen, der braucht auch nicht mehr zu wissen, was als fortschrittlich und was als reaktionär gelten kann – der muß sich auch keine Gedanken mehr darüber machen, welche Ziele politisch durchgesetzt werden sollen. Und den muß die Gleichberechtigung der Geschlechter schon gar nicht mehr interessieren.

Nun rührt das feministische Entsetzen über solcherlei Rückschlag auch von der merkwürdigen Schere her, die sich zwischen ebenjener Geisteshaltung und der feministischen Theoriebildung auftut. Die Diskurse über feministische Ethik, Geschlechterdemokratie, über den komplexen Zusammenhang zwischen sex als biologischem Geschlecht und gender als kulturellem und sozialem Geschlecht bezeugen, daß sich auch in Nischen produktive feministische Forschung betreiben läßt. Doch führt diese Produktivität zur Zeit nur zur Ausbildung einer feministischen Avantgarde, von der sich das Feuilleton entfernt.

Nun hat die analytische Feststellung eines solchen ideologischen backlash immer etwas Zweischneidiges: Man gräbt bekanntlich nicht gerne am eigenen Grab. Je häufiger sich Frauen über ihn ärgern, desto wirksamer setzt sich der backlash in den Köpfen und Gemütern fest. Deshalb ist es gerade jetzt um so wichtiger, mit einem genervten Trotzdem die alten politischen Forderungen zu wiederholen und die theoretischen Einsichten voranzutreiben. Das ist zwar weder sonderlich originell noch ermutigend: Aber solange gleiche Freiheiten und gleiche Rechte substantiell und tatsächlich nicht für beide Geschlechter gelten, so lange wird uns nichts anderes übrigbleiben. Solche politischen Konkretisierungen werden nicht nur das öffentliche, sondern auch das private Leben umordnen – und es ist offenbar auch die Furcht vor derlei feministisch motivierten Umordnungen, die für männliche Traumatisierungen sorgt.

Die Zusammenhänge liegen auf der Hand: Solange jemand sich über die „Sexualisierung von Diskursen“ mokieren kann, während in der Tagesschau die versammelte Männerriege der EU-Regierungschefs zum Abendessen serviert wird, so lange bleibt unverstanden, was eigentlich Gleichberechtigung und repräsentative Demokratie im Kern bedeuten. Doch gegen Rückschläge helfen nur renitente (Rück-)Eroberungen. Beate Rössler

Philosophin an der FU Berlin