Sieg – doch keine Mehrheit für Faschisten

■ „Rußlands Wahl“ holt über Direktmandate auf / Gespräche mit KP?

Moskau (taz) – Mit quälender Langsamkeit tröpfeln die Ergebnisse der russischen Parlamentswahlen in Moskaus Zentraler Wahlkommission ein. Nach Auszählung von knapp 193 der insgesamt 225 Wahlkreisen liegt nach wie vor die Liberaldemokratische Partei (LDPR) des Faschisten Wladimir Schirinowski mit 23,4 Prozent an erster Stelle, gefolgt vom Reformblock „Rußlands Wahl“ (14,7) und den Kommunisten (13,2 Prozent). Die Auszählung der Direktmandate zeigt dagegen einen anderen Trend. Während die LDPR nur in drei Bezirken ihre Kandidaten durchbrachte, schafften bisher 27 Abgeordnete von „Rußlands Wahl“ den Sprung ins Parlament. Nach ersten Schätzungen entfielen damit 94 der insgesamt 450 Sitze in der Staatsduma auf den Reformblock, die Faschisten müßten mit 78 vorliebnehmen. Die Kommunisten erhielten zwölf Direktmandate, zusammen mit den Mandaten über die Parteiliste ergibt das 64 Sitze. Sie wären damit drittstärkste Fraktion. Die Reformblöcke „Jabloko“, dem Grigori Jawlinski vorsteht, und die Partei des Vizepremiers Sergej Schachrai, „Partei der Einheit und Verständigung“, kommen zusammen bisher auf 58 Sitze.

Im konsternierten Reformlager macht man sich somit erneut Hoffnungen. Rechnerisch sei man auch einer drohenden Koalition aus Kommunisten und Faschisten überlegen. Diese bräuchten noch die Mitarbeit einer dritten Kraft, der Agrarier oder der Frauenpartei, die 22 Sitze errang. Mit Koalitionsaussagen haben sich beide bisher zurückgehalten. Im Parlament vertreten sein wird nun auch die Russische Bewegung demokratischer Reformen (RDDR). Zwar scheiterte sie knapp an der Fünfprozenthürde, gewann jedoch bisher acht Direktmandate.

Die einzige Gemeinsamkeit, zu der sich die rivalisierenden Reformkräfte bisher durchringen konnten, waren Erklärungen, sich der Gefahr von Ultrarechts entgegenzustellen. Ansonsten halten die gegenseitigen Beschuldigungen über den Wahlausgang an. Außenminister Kosyrew, der in Murmansk seinen Parlamentssitz gewann, forderte die Kommunisten auf, sich in die antifaschistische Front einzureihen – immerhin hätten sie eine lange antifaschistische Tradition. Der Vorsitzende der KPdRF, Sjuganow, schweigt sich zu künftigen Allianzen hingegen aus. Am Wahlsonntag hatte er die Nähe Schirinowskis allerdings nicht gescheut. Sie lagen sich nach den ersten Hochrechnungen schon in den Armen. Verspricht eine Koalition mit den Faschisten Erfolg – das hängt von der endgültigen Sitzverteilung ab –, dürften die „ideologischen Unterschiede“ keine große Hürde sein.

Der stellvertretende Minister für Sicherheit (früher: KGB), Sergej Stepaschin, äußerte seinerseits Erstaunen über das Wahlergebnis. Schirinowskis Erfolg hätte man im Ministerium nicht erwartet. „Das, was passiert ist, ist jenen eine gute Lektion, die sich für Demokraten halten.“ Im weiteren warnte er vor den Folgen der nationalen und rassistischen Hetze Schirinowskis. Stepaschins „Unwissenheit“ läßt Zweifel an der Effektivität des Sicherheitsministeriums aufkommen. Schließlich war es der KGB, der 1990 mithalf, die LDPR zu gründen, und der die Finanzmittel bereitstellte. Schirinowskis „rechte Hand“ Sergej Abelzew bekleidet im „Schattenkabinett“ der LDPR den Posten des Sicherheitsministers. Als ehemaliger KGB-Mitarbeiter kennt er sich aus. Klaus-Helge Donath