Die adäquate Sprache finden

■ Heute letzte Folge: Michael Klügl, Dramaturg an der Hamburger Staatsoper

Die Wege zur Dramaturgie der Hamburger Staatsoper sind verschlungen und der Zutritt nicht eben einfach. Diverser Telefongespräche und einer zuckersüßen Stimme bedarf es, sich mit Michael Klügl zum Interview zu verabreden; eines guten Pfadfindersinnes, ihn zu diesem auch zu treffen. Im fünften Stock des Verwaltungsgebäudes sitzt die fünfköpfige Dramaturgie der Oper, höher als der Aufzug fahren will und dann um viele Ecken und Enden bis zum Ziel: Michael Klügl sitzt hinter zwei Schreibtischen und lächelt. Es ist Montag morgen. Nach einem harten Wochenende trägt Klügl einen Dreitagebart (der Fotograf muß einen Tag später wiederkommen), Mantel und Schal. 78,2 Mio. Mark Subvention zum Hohn will die Heizung nicht funktionieren.

„Es stimmt, ich habe geschrieben, man sollte die bestehenden Opernhäuser abreißen. Aber das war natürlich nicht ernst gemeint“, relativiert Klügl. In einem Programmheft hatte er die Eliminierung der Guckkastenbühne propagiert, „um einem erneuerten Musiktheater den Weg zu ebnen“. Sein heutiges Argument gegen den Abriß klingt etwas halbherzig: „Da wäre doch gar kein Geld, die Häuser neu aufzubauen“, sagt er achselzuckend. Und fährt mit wachsender Überzeugung fort: „Den idealen Ort, an dem ich Musik ideal hören und verstehen könnte, gibt es eh nicht. Es gilt umgekehrt: Jeder Ort, an dem ich Musik hören kann, ist ideal.“

Der 39jährige Frankfurter kam vor drei Jahren nach Hamburg; zuvor arbeitete er in Bremen, Oberhausen und Frankfurt als Dramaturg sowie in Essen als Schauspielmusiker. Mit dem aktuellen Hamburger Spielplan hat er insofern nichts zu tun, als daß dieser bereits erstellt war, bevor Klügl ans Haus kam. Pavarotti plant im voraus und Opernhäuser müssen es ihm zwangsläufig gleichtun. Der Schwerpunkt der Arbeit des studierten Musik-, Philosophie- und Geschichtswissenschaftlers Klügl liegt auf Publikationen in Programmheften und der hauseigenen Zeitung. Bei der dramaturgischen Betreuung einzelner Inszenierungen hat er sich auf moderne Produktionen und Uraufführungen spezialisiert: „Der Bundespräsident sagt: 'Ohne Geschichte haben wir keine Gegenwart'. Ich glaube aber auch, daß wir ohne Gegenwart keine Zukunft haben. Es ist unheimlich wichtig, auch in der Musik, eine Sprache zu finden, die unserer Zeit adäquat ist.“

Zehn bis zwanzig Partituren liest Klügl im Jahr, darunter viele neue Kompositionen. Er hofft auf eine Abkehr von der Literaturoper, der direkten Übersetzung gegebener Stoffe in Töne, und fragt sich, warum Komponisten ihre Musik stets einer Handlung folgen lassen - schließlich habe Musik doch eine ganz eigenständige Qualität, Geschichten zu erzählen. Die besondere Erzählweise ist es auch, die Klügl an Videos interessiert; ansonsten fehle ihm leider die Zeit, die Entwicklung der Popmusik zu verfolgen. Schon als Schüler interessierte er sich mehr für Klassik, lernte Cello und Klavier, gründete mit 13 einen Chor für gregorianische Gesänge und hörte mit 16 Bartók und Stockhausen - vermutlich auch 1970 nicht allgemein unter den Top-Twenty.

Was ihm damals an der Klassik gefiel, ist bis heute sein Hauptinteresse an der Oper: „Die großen Geschichten und die großen Gefühle - das ist schon das wesentliche.“ Tränen rollen nicht mehr, aber Momente tiefster Rührung gibt es glücklicherweise immer noch. „Als wir Die Eroberung von Mexiko nach acht Wochen Proben am Klavier zum ersten Mal mit Orchester gehört haben...das war wirklich ergreifend.“

Daß die Oper soviel Subventionen erhält wie alle anderen Theater dieser Stadt zusammen, sieht Klügl schlicht pragmatisch: „Man muß sich eben entscheiden, ob man diese Kunstform erhalten will. Und wenn ja - kostet das Geld“.

Unzählige Zigaretten später rekapituliert er. „Die wesentliche Frage haben Sie gar nicht gestellt - was ich hier eigentlich den ganzen Tag mache.“ Beschämt und fragend nicke ich auf. „Zuhören und Fragen stellen. Das ist mein Job“, sagt er. Komisch, denke ich, kommt mir bekannt vor. Aber da ist die Aufnahmecassette bereits voll und meine Finger eingefroren.

Christiane Kühl