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„Wir wollen hier einfach nur wohnen“

■ Ein Modell in Altona: Wie Mieter nach zehn Jahren Kampf zu Hausbesitzern wurden Von Torsten Schubert

„Selbst ein Sozialhilfeempfänger kann sich eine Wohnung kaufen“, sagt Michael Goldenbaum. Der 31jährige Betriebsrat muß es wissen, denn „ich habe ein Jahr meines Lebens geopfert, damit wir unser Haus finanziert bekommen“. Die 46 Bewohner des Hauses Holstenstraße 114 in Altona zahlen ihre Miete nicht länger an einen fremden Eigentümer: „Uns gehört das Haus jetzt selbst.“ Ergebnis einer zehnjährigen Geschichte.

Anfang der 80er Jahre hatte der Diplomingenieur Peter F. den Altbau in „völlig zerrüttetem Zustand“ gekauft. Leitungen hingen wirr im Hausflur, Farbe und Putz bröckelten von den Wänden, Fenster ließen sich nicht öffnen, weil sie sonst aus ihrem Rahmen gefallen wären. F. versprach, die Mängel schnell beseitigen zu lassen. Doch nichts geschah.

„Ich bin am ersten Dezember 1977 eingezogen – ohne Heizung oder Ofen“, berichtet Peter Klechowitz, mit seinen 45 Jahren der „Opa“ im Haus. „Meine Frau Brigitte ist aber das Fossil“, lacht er, „sie wohnt hier schon 26 Jahre“. Anfangs noch bei ihren Eltern. „Ich hatte zwischendurch Phasen, da wollte ich nur noch raus hier“, erinnert sich Peter Klechowitz, „aber Brigitte wollte immer bleiben“.

Jahrelang hatten die Bewohner die Mängel des Hauses ohne zu Murren hingenommen. Die Mieten waren für die 100 Quadratmeter-Wohnungen mit 200 bis 700 Mark vergleichsweise günstig. Auch wenn die Raumtemperaturen im Winter trotz Heizung selten mehr als 14 Grad erreichten. Vermieter F. riet: „Hängt Wolldecken vor Türen und Fenster. Ich kann da gute empfehlen.“

Irgendwann, keiner weiß es mehr so genau, begannen die Mieter miteinander über die Zustände im Haus zu sprechen. Es gab eine erste Versammlung. „Bei Kaffee und Keksen haben wir uns damals das Du halbwegs herausgewürgt. Das war 1987“, erinnert sich Michael Goldenbaum. Alle hätten sich schon etwas komisch gefühlt, man kannte sich ja nur vom Hausflur. „Wir stellten erstaunt fest, daß wir für ähnliche Wohnungen verschieden hohe Mieten zahlten und daß alle erhebliche Mängel hatten.“ Erste Konsequenz: Mietminderungen bis zu 50 Prozent.

Im April 1986 wurde die Holstenstraße von der Stadt zum Sanierungsgebiet erklärt. „Da schlug unsere große Stunde.“ Auf Initiative der Mieter gab es auch für sie Mittel aus dem Sanierungstopf, nachdem der erbärmliche Zustand des Hauses sogar in der Bezirksversammlung Altona behandelt worden war. Die Sanierungsarbeiten waren eine einzige Schikane: „Wir haben darauf bestanden, daß zunächst nur eine Hälfte saniert wird. Wir trauten F. nicht über den Weg und wollten nicht das gesamte Haus räumen. So konnten wir immer ein Auge drauf haben“, berichtet Biologiestudentin Gudrun Hofmann.

Plötzlich gab der Vermieter klein bei

Also zogen einige Mietparteien bei andern mit in die Wohnung oder stellten zumindest ihre Möbel dort unter. „Ständig hat jemand aufgepaßt, daß nicht plötzlich neu vermietet wurde.“ Die Sanierung der ersten Haushälfte hat neun Monate gedauert. „Ausgeführt von Firmen, die hier die Altbausanierung geübt haben“, meint Gudrun Hofmann. Auf Parkettfußboden wurde Zement angerührt, im Treppenhaus lag fingerdicker Staub. „Wir haben auf einer Baustelle gelebt.“

Mit der Sanierung der zweiten Hälfte sollte noch vor Weihnachten 1990 begonnen werden. Die Mieter zogen um, doch erst im April des nächsten Jahres wurde weiter gearbeitet. „Die neuen Maurer waren ganz toll“, erzählt Anita Friedetzky, „jeden Morgen haben sie mich wieder gefragt, welche Farbe die Fugen haben sollen. Und jedesmal habe ich ihnen gesagt: hellgrau.“

Über ein Jahr hat es gedauert, bis auch die zweite Hälfte des Hauses fertig war. „Was man so als fertig bezeichnet“, sagt Michael Goldenbaum. Im dritten Stock wurde die Heizung nicht erneuert, es gab keine neuen Schlösser in den Türen. Denn Peter F. war mittlerweile das Geld ausgegangen – trotz der Sanierungszuschüsse der Stadt in Höhe von 1,2 Millionen Mark.

Dennoch kam der Vorschlag überraschend. Peter Fisch bot den Mietern vor gut einem Jahr das Haus zum Kauf an. Für 1,45 Millionen Mark. „Da hat er wohl endgültig gemerkt, daß wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen.“ Denn es hatte genügend Versuche mit Drohungen und Schmeicheleien gegeben. „Wo ist der Haken?, haben wir uns natürlich gefragt“, erzählt Michael Goldenbaum. Doch es gab keinen: Der Vermieter hatte klein beigegeben.

Schwierig war jetzt nur die Finanzierung. „Es kamen schnell schlaue Finanzberater, die uns helfen wollten. Und genauso schnell waren sie wieder weg, weil kein Geld da war.“ Schließlich ließ sich die Hamburger Sparkasse auf einen Kredit über 1,45 Millionen Mark ein. Bedingung der Mieter: „Wir wollten eine Finanzierung für alle oder gar nicht.“ Es wurde eine Lösung gefunden, auch wenn die Bewohner manchem Kreditberater wahre Schreckensschauer über den gramgebeugten Rücken jagten: „Von der Journalistin, die Sozialhilfe bekommt, bis zum Klempner, der Arbeit hat, lebt hier nämlich eine bunte Mischung“, sagen die Mieter selbstbewußt: Nicht unbedingt die Wunschklientel einer Kreditabteilung.

Mit der Gründung einer Gesell-schaft Bürgerlichen Rechts (BGB) wurde das Geld bewilligt. Doch jetzt legte sich die Behörde quer. Begründung: Die Wohnungen dürften für die nächsten zwölf Jahre wegen der Sozialbindung nicht in Eigentum umgewandelt werden. Das hatten die Bewohner bei der Aufstellung des Sanierungsprogrammes selbst gefordert: Ein Eigentor. Erst nach zähen Verhandlungen mit einem Notar stiegen die Behörden auf unseren Weg ein. „Die Beamten konnten erst nicht begreifen, daß wir hier einfach nur wohnen wollen“.

Als alles geregelt schien im August vorigen Jahres, ließ Peter F. den ersten Termin für die Vertragsunterzeichnung platzen. Plötzlich zweifelte er die von ihm selbst berechneten Wohnungsgrößen an. Neue Messungen ergaben aber nur geringfügige Abweichungen. Zum nächsten Termin am ersten September kamen alle Bewohner. „F. benahm sich wie ein kleiner Junge, der noch unbedingt ein zweites Spielzeug haben will“, beschreibt Gudrun Hofmann die damalige Situation. So forderte er für die vergangenen elf Jahre Nachzahlungen für nie abgerechnete Nebenkosten. Die Verhandlungen dauerten den ganzen Tag, bevor endlich die Federhalter gezückt werden konnten.

Vor einem Jahr wurde die BGB-Gesellschaft aufgelöst, die Wohnungen wurden als individuelles Eigentum übernommen. Preis: 1000 Mark pro Quadratmeter. Die Neu-Eigentümer bürgen jeder für jeden bei der Bank. Die Vermögensverhältnisse wurden gegenseitig offengelegt: „Das war ein gewaltiger Schritt für die, die mehr Geld haben“, sagt Michael Goldenbaum. Denn die werden von der Bank in Anspruch genommen, wenn ein Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten kommt. „Doch warum sollte das passieren, früher haben wir auch pünktlich unsere Miete gezahlt.“ Und die Belastung ist nicht wesentlich gestiegen, wird in ein paar Jahren sogar niedriger sein als eine normale Miete.

Zufrieden sind die Bewohner auch aus anderen Gründen mit dem Kauf. „Wir haben eine nette Gemeinschaft. Hier leben Deutsche und Ausländer gut zusammen – das ist wichtig in der heutigen Zeit.“ Außerdem können die Kinder schnell einmal beim Nachbarn abgegeben werden. Alles kein Problem in diesem Haus.

Die Bewohner haben gemeinsame Erinnerungen und eine gemeinsame Geschichte, so etwas schweißt zusammen. Als vor kurzem bei Peter Klechowitz eine Scheibe klirrte, gingen sofort alle Türen auf. „Der Einbrecher ergriff eilig die Flucht.“ Und das nächste Projekt ist bereits geplant: „Die Holstenstraße soll Tempo 30-Zone werden“, sagen die Bewohner, noch eher im Spaß. Doch wer weiß.

Konkreter ist ein anderer Plan. „Interessant wäre eine Chronik von unserem Haus.“ Es stammt aus dem vorigen Jahrhundert, das Dach wurde 1909 aufgestockt. „Früher lebten bis zu zehn Personen in einer Wohnung und jede Familie hatte auch noch einen Untermieter, weil das Geld sonst knapp war“, berichtet Peter Klechowitz. Vielleicht fühlen sich die Bewohner dann wirklich langsam als Eigentümer. „Bis jetzt sage ich immer noch, ich überweise die Miete und wenn wir ein Treffen haben, ist das natürlich eine Mieterversammlung“, erzählt Anita Friedetzky.

„Jetzt lachen wir, doch es war hart“

Demnächst bekommt das Haus wahrscheinlich auch einen neuen Miteigentümer. Niels Kochke sucht seit zwei Jahren vergeblich eine Wohnung in Hamburg. Jetzt will sich der Bio-Student das Dach ausbauen – 60 Quadratmeter zu 30.000 Mark. „Wir wollen uns an dem Geld nicht bereichern“, meint Michael Goldenbaum, „das kommt in die Renovierungskasse.“ Noch spielt wiederum die Behörde nicht mit. Wenn die Genehmigung kommt, muß er kräftig die Ärmel hochkrempeln: Das Dach ist in einem erbärmlichen Zustand, doch Niels ist optimistisch: „Weihnachten 1994 ziehe ich hier ein.“

Am Küchentisch bei Anita Friedetzky erinnern sich die ehemaligen Mieter gegenseitig an die vergangenen zehn Jahre. „Wir lachen jetzt darüber“, sagen sie, „doch es war eine ganz schön harte Zeit“. Wieder gibt es Kaffee und Kekse, wie beim ersten Mietertreffen vor 16 Jahren, im Nebenraum spielen lautstark einige Kinder. Besucher aus Rostock hören interessiert zu. Sie haben gerade Schwierigkeiten mit der Treuhand: „Vielleicht ist das Modell auch etwas für uns...?“.

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