„Mamma, Mamma mia“

■ Stummfilmklassiker der neapolitanischen Regisseurin Elvira Notari, einer Wegbereiterin des Neorealismus, im Arsenal

Die schöne Magaretella, ihre kupplerische Mutter und der eifersüchtige Liebhaber – stolz posieren die Figuren in Großaufnahme bevor das melodramatische Spektakel einsetzt. Um Liebe, Sehnsucht, Haß und Eifersucht kreisen die Filme der Neapolitanerin Elvira Notari, der ersten Filmregisseurin Italiens.

Während die großen Produktionsfirmen sich in Rom und Turin im Genre des Sandalenfilms übten und einen Monumentalschinken nach dem nächsten produzierten, rotierten in Neapel kleine kinematographische Familienunternehmen. Ihre gefühlstrunkenen Filme spielten in den Gassen und auf den Straßen der Stadt, deren Bewohner sich stets freuten, wenn sie sich auf dem Zelluloidstreifen wiederfanden. Auch Elvira Notari leitete einen solchen Betrieb, „Dora Film“, gegründet 1908. Mit ihrem Mann Nicola teilte sie sich die Arbeit, er führte die Kamera, sie übernahm Drehbuch und Regie.

Wegen chronischen Geldmangels arbeitete man mit Laien, die die Notari in ihrer eigenen Schauspielschule ausbildete. In nur 25 Jahren drehte die Vielbeschäftigte eine Vielzahl kleinerer Werke und 60 Spielfilme, von denen bedauerlicherweise nur noch drei erhalten sind. Mit musikalischer Begleitung werden die rasanten Klassiker vom Verein zur Förderung Feministischer Filmbildungsarbeit e.V. „Blickpilotin“ präsentiert. Birgitta Altermann („Wilde Mischung“) wird die Tasten ihres Klaviers heftig malträtieren müssen, um mit Tempo und Dramatik mithalten zu können.

In einem feinen Restaurant wird in „E' Piccerella“ rund um eine Marmorsäule das Tanzbein geschwungen, mittendrin amüsieren sich Margaretella und ihre Mutter. Gerade hat man einen neuen Verehrer für das hübsche Mädchen aufgetrieben, auf dessen Kosten man ordentlich einen trinkt. Einen jungen Mann hat's besonders arg erwischt, er kann von der wankelmütigen Schönen nicht mehr lassen, mit zahlreichen und kostbaren Präsenten versucht er, Margaretella bei Laune zu halten. Aus Geldnot bestiehlt er sein altes Mütterlein und die beschließt vor Gram zu sterben, auf dem Totenbett kommen alle zusammen: „Mamma, Mamma mia“ schreit der eingeblendete Zwischentitel.

Nicht selten werden Elvira Notaris Heldinnen für ihren Freistil, ihr ausgelassenes Leben mit Tod oder Gefängnis bestraft. Während das überschwengliche Gefühlsleben der Protagonisten den Duktus der Filme dominiert, erzählt der realistische Hintergrund vom neapolitanischen Alltag der zwanziger Jahre. Ausgelassene Volksfeste, prunkvolle Feuerwerke, zahlreiche Prozessionen und das Leben in den Straßen werden aufs Energischste vorgeführt. In einer besonders eindrucksvollen Massenszene sieht man die Armen der Stadt an einen langen Tisch gedrängt, zur Feier des Tages haben sich die Reichen spendabel gezeigt. Von einem sicheren Ort beäugen sie das gierige Geschlinge. Elvira Notari, unfreiwillige Wegbereiterin des Neorealismus, schreckte nicht davor zurück, dem Glamour gewohnten italienischen Publikum des frühen Faschismus zahnlose und ausgemergelte Gestalten zu präsentieren. Schließlich wurde der allgegenwärtige Zensurapparat Mussolinis auf Dora Film aufmerksam. 1930 mußte man das Atelier dichtmachen. Anke Leweke

Heute, 20 Uhr: „Töchter des Vesuvs“, „Assunta Spina“ und „A Santanotte“ (OmÜb). Morgen, 20 Uhr: „Töchter des Vesuvs“, „E' Piccerella“ und „Fantasis'e surdate“ (OmÜb); mit Einführungsvorträgen der Filmwissenschaftlerin Giuliana Bruno, am Klavier: Birgitta Altermann, Arsenal, Welserstr. 24, Schöneberg