Wand und Boden
: C'est chic!

■ Kunst in Berlin jetzt: Blumenstein, Brandenburg, Paravents

In Zeiten des erweiterten Kunstbegriffs ist der erweiterte Galeriebegriff die unvermeidliche Folge. Der Gedanke, daß das Bilderbuch die erste Galerie ist, die vom Kind betreten wird, ist ein guter Gedanke. Der Gedanke, die Zigarettenschachtel zur Art Collection umzufunktionieren, ist nicht ganz von dieser Güte, aber eine taugliche Werbeidee, schlußendlich erfährt man ja ein wenig Camel-Werbegeschichte. Wenn McDonald's Kunst ankündigt, erwartet der frivole Konsument mindestens den „abject art“-Hamburger mit viel brauner Soße. Aber Justus Blumensteins „Rebellion der Kaumassen“ entpuppt sich als eine ganz traditionell gehängte Foto-Text-Arbeit, die in der Filiale am Ku'damm 34 zu bewundern ist. Die rebellierende Kaumasse hat auch mit rebellierenden Mägen nach McDonald's Sättigung rein gar nichts zu tun. Vielmehr hat Blumenstein, frei nach dem Motto „Wir kauen uns unser Kunstwerk selbst“ (Harald Fricke), das bislang kunstfremde und – wenn man nicht unter die Tische schaut – auch McDonald's- fremde Material des Chewing gum in erstaunlich vielfältige Formgebilde zerbissen. Mal flach zerdehnt, mal zum Ball verdichtet oder konkav/konvex verknäult, wird jede fotografisch archivierte Kaugestalt mit einem angehängten „-mint“ benannt: Nationalmint, Anarchymint, Peacemint, Socialmint, Suicidalmint, Lovemint und so weiter. Zu ihrem besseren Verständnis sind den Fotos Texte beigegeben. Die rebellierenden, unverdauten Gedankenmassen, die Blumenstein unter dem Label „Philosophie“ von sich gibt, verderben den Mintgeschmack allerdings gewaltig.

Bis 7. 1., Mo–Fr 7–4 Uhr, Sa/So 8–6 Uhr, Kurfürstendamm 34, Charlottenburg

Falls die Fastfood-Konsumenten hinschauten, was beobachtbarerweise nicht der Fall ist, böte die McDonald's-Galerie immerhin – in Werbersprache ausgedrückt – eine maximale Zahl von Blickkontakten. Aber die Besucher, die sehen wollen, strömen in die anderen, „normalen“ Galerien. Zur Eröffnung von Marc Brandenburgs „The House of Deep Essential Shit and Disco Therapeutics“ bei Bruno Brunnet Fine Arts jedenfalls stapelten sie sich treppauf und treppab und die Satinarbeiten auf Sockeln „empty dance floor“ und „yellow brick road“ mußten wegen des Andrangs zur Seite gerettet werden. Das leere Tanzparkett ist ein gestepptes blaßrosa Satinquadrat: Kürzer, sinnfälliger läßt sich die Trauer um die Opfer des einstigen Donna-Summer-Disco-„Love to love you“- Hedonismus kaum fassen. Gerade weil Brandenburg am großen Monument des Aids-Quilts, wo jedes Quadrat an einen Toten erinnert, mitstichelt und dennoch unverkennbar privatistisch seine sarkastische Kleinkissen-Hommage gegen das Pathos der weltumspannenden Schmusedecke setzt. „Yellow brick road“ ist der utopische Weg, den Quilt nicht zusammengesetzt zu sehen, sondern als einzelne goldene Satinplatten, den Weg zum Wizard of Oz weisend; die diamantenen Funken sprühen, eine imaginäre Judy Garland schlägt die Hacken ihrer roten Miniatur-Satin- Schuhe zusammen und die gütige Fee versucht ihr Bestes. „The Love Unlimited“, die dreiteilige Girl Group im weißen, glitzersteinbestickten langen Abendkleid und weit rausragenden Afrofrisuren, ist schließlich bußfertig ans lilafarbene Kreuz genagelt. 90 Bleistiftzeichnungen hängen gegenüber dem Quilt-Zitat auf der anderen Galeriewand und sind gewissermaßen eine große „Gothic Novel“. Aufwendigst herausgearbeitete Details von ornamentreichen, altertümlichen Treppenaufgängen führen ins Nichts; penible Interieurstudien platzen vor grausiger Idylle; Naturstudien, eine Grasnarbe, Kirschbaumblüten und religiöser Kitsch, eine Madonna, ein Christus am Kreuz ziehen die Schraube des lustvollen Unbehagens ebenso an wie wüste Schneemänner und tendenziell pornographische Blätter. Zumal der große zeichnerische Aufwand angenehmerweise nur die Oberfläche bezeichnen will, völlig superficial bleibt und den Titel der Ausstellung vollkommen rechtfertigt.

Bis 14. 1., Mo–Fr 10–18.30 Uhr, Sa 10–15 Uhr, Wilmersdorfer Str. 60/61, Charlottenburg

Einen schwulen Camp anderer Art zeigt Salomé mit „Eden and elsewhere“ (1986). Campy ist hier eher der extravagante Bildträger, ein vierteiliger Paravent, und weniger das Gemälde von Adam und Eva im Paradies. Um „Standbilder, Paravents, Bildobjekte, Kunstobjekte“ dreht sich folgerichtig die Themenausstellung bei Hartmann & Noe. Salomés „elsewhere“ ist auf die Rückseite des Wandschirms verbannt und zeigt die Backstage-Hölle, in der sich auf rotem Grund goldhäuptige Männer selbstbefriedigen und ebenso goldhäuptige Frauen in orgiastischen Verschlingungen darniederliegen. Je nachdem, wie man diese spanische Wand im Raum plaziert, läßt sich das vorder- und rückseitige Bild für den eigenen Gusto instrumentalisieren. Diese Möglichkeit eines trivialen Nutzbarmachens teurer Kunst, c'est chic! würde der Dandy sagen. Die skulpturale Qualität solcher Kunst im Raum verweist aber auch auf Plakatflächen und -säulen. Guiseppe Madonias vierteiliger Paravent „A la fine del silencio“ (1993) ist eine beidseitige Collagearbeit, die diesen Touch der abgerissenen, sprechenden Hauswand hat, gleichwohl die abstrakten Farb- und Formflächen den Charakter des Tafelbilds wahren. Doch in der Abkehr der Paravents gegenüber dem klassischen Bild liegt häufig die Gefahr des Rückfalls. Gloria Brands „Butterfly“-Paravent von 1993, ebenfalls eine aufwendige Collagearbeit, könnte auch als Memphis-Design durchgehen. Eine interessante Entdeckung ist die „Aarelandschaft bei Bern“ (1900): Der fünfteilige Wandschirm zeigt den jungen Paul Klee als veritablen Jugendstilkünstler.

Bis 21. 12., Mo–Fr 11–18.30, Sa 10–14 Uhr, Knesebeckstr. 32, Charlottenburg Brigitte Werneburg