„Der Brief ist der letzte Kick“

■ Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein über einen seltsamen Brief des Finanzsenators und über den Verkauf Ostberliner Wohnungen an private Investoren

taz: In einem Brief nötigt Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Ostberlins, so viele Wohnungen wie möglich an private Investoren zu verkaufen. Kennen Sie diesen Brief?

Hartmann Vetter: Ich kenne dessen Inhalt. Da steht drin, daß sie bis Jahresende verkaufen sollen, um den Abschreibungsvorteil, der bis zum 31. 12 den Investoren für höhere Kaufpreise gewährt wird, zu nutzen. Das heißt, die Investoren, die diesen hohen Abschreibungsvorteil haben, sind bereit, jetzt höhere Kaufpreise zu akzeptieren, als sie es ohne diese Abschreibungsvorteile täten.

Pieroth hat den Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften diesen Druck übergestülpt mit der Bemerkung, daß sie in Zukunft keine Mittel aus dem Landeshaushalt zu erwarten hätten. Sie sollen sich selbst sanieren bis zum 31. Dezember.

Was erwartet Pieroth davon?

Einsparungen für den Landeshaushalt, weil diese Abschreibungen nicht den Landes-, sondern den Bundeshaushalt belasten.

Weshalb kommt der Appell zwei Wochen vor Jahresende?

Das wundert mich auch, denn das Schreiben ist von vorgestern. Aber es ist ja auch nicht so, daß sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erst seit gestern um Käufer bemühen. In der Leipziger Straße etwa sind bereits zwei Hochhäuser vor drei, vier Wochen verkauft worden. In Hellersdorf steht ähnliches an.

Welchen Vorteil hat ein Investor, der diese Wohnungen kauft?

Er kann erst mal diese Investition aus ersparten Steuern finanzieren. Denn 50 Prozent darf er abschreiben. Es gibt Fälle, in denen eine Privatperson beispielsweise 15 Millionen Mark Steuern im Jahr zahlen muß, das entspricht einem Einkommen von rund 30 Millionen Mark. Wenn die für 60 Millionen Mark Wohnungen kauft, kann sie 50 Prozent abschreiben. Sie kann also ihr Einkommen um 30 Millionen Mark verringern und zahlt damit keine Steuern mehr.

Will Pieroth Ostberlins Wohnungsbaugesellschaften abschaffen?

Das scheint sein Ziel zu sein: kommunales oder staatliches Eigentum abzuschaffen und alles zu privatisieren. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.

Welche Konsequenzen für die Mieter hat der Verkauf eines städtischen Wohnblocks an einen privaten Investor?

Grundsätzlich erst mal keine, denn der neue Eigentümer tritt in den Mietvertrag ein. Oft werden auch zusätzliche Mieterschutzrechte vereinbart. Nur gelten diese nur für bestehende Mietverhältnisse, für Neumieter nicht. Und für einen privaten Investor gilt allein das Interesse am Profit. Hauptsache, das Geld läuft.

Nach dem sogenannten Altschuldenhilfegesetz müssen die Wohnungsbaugesellschaften 15 Prozent ihres Bestandes verkaufen, allerdings vorrangig an ihre Mieter. Die Mieter müssen diesem Gesetz zufolge erst ab 1. Januar gefragt werden, ob sie ihre eigene Mietwohnung kaufen wollen. Das Bundesbauministerium hält Pieroths Appell für einen Trick, um dieses Gesetz zu unterlaufen.

Das Altschuldenhilfegesetz sieht in der Tat diese Privatisierung vor. Bis zum 31. 12. müssen die Wohnungsbaugesellschaften diesen Antrag stellen, wenn sie die Altschuldenhilfe in Anspruch nehmen wollen. Sie tun es in der Regel, wenn die Altschulden zu hoch sind, und das ist bei den meisten der Fall.

Wird Pieroths Appell nun zum großen Ausverkauf führen?

Nein, der ist nur das I-Tüpfelchen. Die Geschäfte laufen schon seit Monaten. Der Brief macht die Sache nur noch dramatischer insofern, als es jetzt den Wohnungsbaugesellschaften leichter gemacht wird, weil sie vielleicht noch Skrupel hatten, an private Investoren zu verkaufen, weil das irgendwelche Geldwäscher sein könnten. Der Brief ist als der letzte Kick für den Verkauf zu verstehen. Er gibt politische Rückendeckung. Interview: Thorsten Schmitz