Fuge zwischen Brandmauer und Neubau

Reihe Neue Berliner Architektur: Das Haus Pietzsch des Berliner Architekten Sawade Unter den Linden / Der Hochbau beginnt / Konservativ nach außen, innovativ nach innen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Auf der einstmals „repräsentativsten Sackgasse marxistischer Ideologie“ (Dieter Hildebrandt) – der Straße „Unter den Linden“ – schicken sich Planer und Investoren gleichermaßen an, den Mythos von Preußens erstem Operettenboulevard wiederzubeleben. Die Abrißbirnen fliegen radikal in die verhaßten sozialistischen Bauten. Das Lindencafé nebst Bauakademie mußte beispielsweise weichen, um einer Luxusherberge Raum für Kultur-, Büro- und Geschäftseinrichtungen zu geben.

Damit die geplanten Bauvorhaben für den Lindencorso, das Hotel Unter den Linden, das Haus Pietzsch oder die Bauten Ecke Glinkastraße nicht ins unmaßstäbliche Kraut schießen, „sollen einzelne, in sich abgeschlossene Gebäude entstehen, die modern den Bezug zur Nachbarbebauung aufnehmen“, so Baudirektorin Ulla Luther: ein Rahmen des Regelwerks der kritischen Rekonstruktion, der interpretierbar bleibt.

Das Haus Pietzsch (Unter den Linden 42) des Berliner Architekten Jürgen Sawade, für das gerade das Fundament fertiggestellt wurde und bei dem der Hochbau beginnt, legt das Reglement auf zweifache Weise aus: konservativ nach außen, innovativ nach innen. In der Ansicht verhält sich der 53 Meter lange und 15 Meter tiefe Riegel wie eine klassische „kritische“ Rekonstruktion. Das Eckhaus nimmt die historische Straßenflucht exakt auf. Die Traufhöhe des siebengeschossigen Bürohauses für die Wert-Konzept- Berlin KG entspricht der des Nachbargebäudes. Das Penthouse liegt in der Höhe des angrenzenden Dachgeschosses. Schließlich zitiert die klar rhythmisierte Steinfassade die Dreiteilung der historischen Bauten. Das städtebauliche Konzept und die geschichtlichen Bezüge fordern das Moderne in der Architektur wenig heraus.

Das Neue an dem Bau soll ein schmaler Lichthof werden, der sich auf der Längsseite zwischen das Haus Pietzsch und die Brandwand des benachbarten Altbaus schiebt. Das Bürohaus erhält so eine „zweite gläserne Fassade“, deren Räume der künstlich geschaffene Innenhof belichtet. „Das schmale, haushohe und nahezu grundstückstiefe Atrium ist von Unter den Linden aus gesehen Fuge zwischen alter und neuer Architektur“, schreibt Sawade zu seinem Bau. – Neu- und Altbau stehen sich distanziert gegenüber. Die Nahtstelle an der Brandmauer bleibt sichtbar und soll als Hängefläche für Kunstwerke dienen. Der Binnenraum der Architektur ist so nicht nur als tiefe Einsicht in das Gebäude erlebbar, sondern bildet ein Spannungsfeld zwischen baulicher Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Außenraum und inszenierter Innenwelt.

Wird fortgesetzt