Schneller als auf der Autobahn

■ Südring eröffnet: In 34 Minuten von Charlottenburg bis nach Treptow / Über 100.000 Fahrgäste täglich werden erwartet / Diepgen: Auf der Stadtautobahn geht's langsamer

Dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen dämmerte etwas. „Der Umstieg vom Auto in die S-Bahn scheint mir richtig“, sagte er gestern auf dem S-Bahnhof Baumschulenweg, kurz bevor Prominenz, Pressevertreter und „Pufferküsser“ den Südring um 10.15 Uhr offiziell in Betrieb nahmen. Der 53jährige Jurist war sichtlich beeindruckt, daß die beiden S-Bahn-Linien 45 und 46 für die 18,4 Kilometer lange Strecke zwischen Baumschulenweg in Treptow zum Westend in Charlottenburg nur eine gute halbe Stunde benötigen. Diese Zeit könne auf der größtenteils paralell verlaufenden Stadtautobahn nicht einmal dann garantiert werden, wenn das Nadelöhr Sachsendamm beseitigt sei, stellte der Regierungschef fest. An dem Millionen Mark teuren Autobahnausbau hält er aber fest.

Der erste Zug – eigentlich waren es zwei, die zeitgleich starteten und bis Westend nebeneinanderherfuhren – brauchte allerdings noch erheblich länger als die fahrplanmäßigen 34 Minuten. Das lag nicht daran, daß die Waggons überfüllt waren. Sondern an den ausgedehnten Pausen an den Bahnhöfen Tempelhof, Schöneberg, Halensee und Westend, auf denen die jeweiligen BezirksbürgermeisterInnen Begrüßungsreden hielten. Der Bürgermeister von Treptow Michael Brückner (SPD) wurde allerdings kaum verstanden. Der Grund dafür waren weniger die AEG-Mitarbeiter, die ohne Lärm mit Transparenten wie „Standort erhalten und Arbeitsplätze sichern“ auf den von AEG und ABB vorgesehenen Abbau von 1.800 Jobs in der Bahnproduktion hinwiesen. Ein Pulk von Studenten versuchte, die Feierlichkeiten mit einem Lied „Sonderzug zum Landtag“ zu stören. Doch auch ihr Anliegen war in dem Gemenge und Geschiebe auf dem Bahnsteig nicht zu verstehen.

Auf dem Bahnhof Halensee erinnerte nichts symbolischer an die ehemalige Teilung der Stadt als die Militärkapelle der Franzosen. Die Vergangenheit versuchte Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) mit dem Wort „Knutschtour“ wachzurufen. Vor dem Bau der Mauer hätten sich Verliebte auf dem 1877 in Betrieb genommen S-Bahn- Ring „ohne Ende“ vergnügen können. Wie sich herausstellte, kannten dieses „Vergnügen“ aber weder Nagel, 50jähriger vierfacher Familienvater („Es war nichts Gescheites im Angebot“), noch der Berliner Reichsbahnpräsident Werner Remmert („Nicht auf dieser Strecke“) oder Verkehrssenator Herwig Haase („Das möchten Sie wohl wissen“) aus eigener Erfahrung.

Obwohl die Berliner frühestens ab 1998 auf dem Ring wieder endlos fahren können, wurde gestern vermutet, daß Liebespaare bis dahin auf dem Teilstück üben würden. Unbeobachtet werden sie dabei sicher nicht sein. Verkehrsexperten wie Christfried Tschepe vom Fahrgastverband IGEB rechnen damit, daß der im 10-Minuten- Takt befahrene Südring täglich von über 100.000 Menschen genutzt werde. Entsprechende Prognosen habe es schon vor Mauerfall gegeben. Selbst das Teilstück würde mit dieser Ausnutzung die in der Bundesrepublik am meisten benutzte S-Bahn-Strecke sein. Mit dem Südring ist es jetzt möglich, vom Westend den Bahnhof am Flughafen Schönefeld ohne Umsteigen in 54 Minuten zu erreichen.

Nagel wehrte sich gestern erneut gegen die Vorwürfe der Grünen und Verkehrsinitiativen, daß die Strecke schon eher und billiger in Betrieb hätte gehen können. 775 Millionen hat der Abschnitt gekostet und war damit pro Kilometer teurer als die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bundesbahn. Für das Geld wurden 35 Kilometer Gleise und 820 Kilometer Kabel neu verlegt. Von den 90.000 Tonnen Schotter wurde die Hälfte gewaschen, die andere Hälfte ersetzt. Ein Teil der 15 Bahnhöfe wurde verschoben, wie etwa der Bundesplatz, damit es schnellere Umsteigemöglichkeiten oder besser erreichbare Zugänge gibt. Nagel wies die Behauptung der „Luxussanierung“ zurück. Es sei eben teurer, wenn man alte Bahnhöfe in ihrer Substanz erhalte und saniere, als neue zu bauen. Daran, daß mit 420 Millionen Mark der Bund mehr als die Hälfte der Kosten getragen hat, mußte gestern der Staatssekretär der Bundesverkehrsministeriums, Manfred Carstens (CDU), erinnern.

Auf der Strecke, die 52 Umsteigemöglichkeiten bietet, sind nahezu alle Bahnhöfe behindertengerecht gestaltet. Für einen entsprechenden Fahrstuhl am Bahnhof Neukölln wurden die Gleise sogar weiter auseinandergelegt. Doch Behinderte mit einem elektrischen Rollstuhl können auf die sechs (bald sieben) U-Bahn- und 34 Buslinien trotzdem nicht ohne fremde Hilfe umsteigen. Die Kante zwischen Bahnsteig und Zug ist zu hoch. Der ehemalige Abgeordnete der Grünen, Michael Eggert, demonstrierte die Folge dieses Problems bei einer Pressefahrt am vergangenen Mittwoch. Sein Rollstuhl fuhr nach den Versuchen kaum noch: Die kleinen Fronträder waren verknickt. Dirk Wildt