Verbrechen an Berliner Ausländern nehmen zu

■ Staatsschutz zieht inoffiziell Bilanz: 80 Prozent mehr „fremdenfeindliche Straftaten“ als im vergangenen Jahr

Wenn die Spezialabteilung des Staatsschutzes für die Aufklärung von fremdenfeindlichen Straftaten in Berlin Ende des Jahres Bilanz zieht, wird das Ergebnis traurig aussehen. Sachgebietsleiter Harald C. schätzt, daß 1993 etwa 80 Prozent mehr fremdenfeindliche Straftaten in der Stadt begangen wurden als im letzten Jahr. Genaue Zahlen mochte er nicht angeben, denn die wird der Innensenator vermutlich erst im 2. Quartal kommenden Jahres vorlegen.

Dennoch läßt sich der Anstieg dieser Verbrechen ausrechnen. Im vergangenen Jahr stellte die Polizei genau 195 rassistische Übergriffe und Verbrechen fest. Dies bedeutet – bei dem von Sachgebietsleiter C. angegebenen Zuwachs von 80 Prozent –, daß Ende dieses Jahres etwa 340 fremdenfeindliche Straftaten registriert sein werden. Und die gleichermaßen verteilt auf den Ost- und den bevölkerungsreicheren Westteil der Stadt. Die meisten dieser Straftaten finden in Marzahn statt. „Wir sind aber sehr froh, daß 1994 kein vollendetes Tötungsdelikt dabei ist“, sagt Kommissar Harald C. Seinen vollen Namen möchte er aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht sehen.

Ebenfalls gestiegen ist die Aufklärungsrate. 1992 betrug sie 40, in diesem Jahr werden es 50 Prozent sein. Denn seit Dezember vergangenen Jahres ermitteln nicht mehr Polizisten verschiedener Dienststellen, sondern, ressort- und bezirksübergreifend, das Kommissariat „Fremdenfeindlichkeit“ beim Staatsschutz. Zusammen mit dem Kommissariat „Rechtsextremismus“ arbeiten in den beiden sich oft überlappenden Ressorts 30 Mitarbeiter. Im nächsten Jahr sollen es mehr werden. Beide Sachgebiete arbeiten, obwohl auf den Tatort Berlin beschränkt, eng mit dem Bundeskriminalamt und dem Landeskriminalamt Brandenburg zusammen.

Ein Nebenergebnis der zentralen Ermittlungsbehörde ist, daß einige Angriffe, die als rassistisch motiviert gemeldet wurden, sich als eine Vortäuschung falscher Tatsachen herausstellten. Harald C. weiß von fünf Fällen in diesem Jahr. Darunter ist auch die Geschichte des Liberianers, der Anfang der Woche behauptete, aus der U-Bahn gestoßen worden zu sein. Tatsächlich wurde der Mann bei einer Kneipenschlägerei verletzt (taz von gestern). Dieser Fall sei typisch, sagt Harald C. Den Anzeigenden geht es nicht um rassistische Panikmache, sondern um die Vertuschung persönlicher Verwicklungen.

Das krasseste Beispiel dafür sei die Geschichte eines Asylbewerbers aus Rumänien. Der schwerverletzte Mann gab bei der Polizei an, von Skins beraubt und mit Säure übergossen worden zu sein. Gerichtsmediziner diagnostizierten indes Folterwunden, die durch heiße Gegenstände verursacht worden waren und nicht durch Säure. Bei den Vernehmungen stellte sich heraus, daß der Mann eine Gruppe von Roma aus Ex-Jugoslawien bestohlen hatte und die Geschädigten die Aufklärung erfolterten. In einem anderen Fall zündeten Asylbewerber ihre eigenen Unterkunftsräume an, um damit die Verlegung in ein anderes Asylbewerberheim, in dem Verwandte schon waren, zu erzwingen. Anita Kugler