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Gewalt ist modern

Jugendliche Faschos halten sich für Rebellen  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Samstagabend, Madrider Innenstadt. Die Autos bahnen sich nur mit Mühe ihren Weg inmitten Tausender Jugendlicher, die traubenartig um die zahlreichen Kneipen herumstehen, mit Literflaschen Bier in der Hand den Gehsteig belagern, in Hauseingängen knutschen, jeden freien Quadratzentimeter öffentlichen Raums ausfüllen.

Amalia wühlt in ihrem Kleiderschrank. „Also das T-Shirt mit dem Ché zieh ich so schnell nicht wieder an, damit hätte ich neulich beinahe eins in die Fresse gekriegt.“ Das Hemd mit Ché Guevaras Kopf fliegt zerknüllt in eine Ecke, sie zieht ein neutrales ohne Aufdruck an. Die dicke Strickjacke aus den Anden muß heute einem biederen Jackett weichen, und das hippiemäßige Täschchen mit den aufgenähten Spiegeln bleibt ebenfalls zu Hause liegen.

Eine Kneipennacht will mit Bedacht vorbereitet sein. „Wenn ich nach Chueca gehe oder nach Malasaña, dann sind diese Hippiesachen okay, aber hier in Chamberi, oder noch schlimmer in Aurrerá, da kriegt man schnell Ärger damit.“

Noch bewegt sich die 17jährige in den Kneipennächten beidseits der geopolitischen Grenzen der Stadt, sowohl in den Vierteln Chueca und Malasaña, wo sich progres, Fortschrittliche, ihre Weine und Biere reinkippen und die Junkies in Ruhe gelassen werden, als auch in den Bürgervierteln Chamberi und Argüelles, wo Rechtsextremisten in schwarzen Stiefeln zu vorgerückter Stunde „España única!“ schreien und sich Schwule und Junkies ihres Lebens nicht mehr sicher sein können. Doch wird es für die Jugendliche immer schwieriger, unbefangen irgendwelche Treffpunkte aufzusuchen.

„In manchen Kneipen hier legen die Faschos gern ihr Lieblingslied auf, das heißt ungefähr ,Es ist alles vorbei, aber manche Dinge währen ewig, von den Habsburgern zu den Borbonen...‘ Da stehen die dann stramm, heben den Arm und singen alle mit.“ Mein Freund Gachet, der hat einen Spitzbart und eine Haarmatte bis auf die Hüften – der kann in solche Kneipen nicht rein, dem haben sie schon Prügel angedroht“, erzählt Amalia, während sie ihre Füße mühsam in die Stiefel mit den Plateausohlen drückt. „Mir machen die Angst. Neulich war ich in einer Kneipe, da kam einer rein, der hatte eine spanische Fahne bei sich und legte sie sich über den Rücken. Kam ein anderer zu ihm und sagte: ,Die spanische Fahne darf man nur auf der Brust tragen, über dem Herzen.‘ Und der mit der Fahne hat ihm geantwortet: ,Die spanische Fahne muß man überall tragen.‘ Da haben sie angefangen, sich zu prügeln. Von woanders kamen noch andere, die hatten Messer dabei, und einer hatte eine Pistole, und dann sind sie alle aufeinander losgegangen. Alles Faschos wohlgemerkt, da waren keine Roten dabei.“

Brüllende Rechtsradikale sind nichts Neues in Madrids Jugendkultur. Doch in den achtziger Jahren waren sie in der Minderheit, galten als rückständig. Die feinen, die frankistischen Rechten, waren Muttersöhnchen, an deren weißen, aufgedunsenen Körpern und pickeligen Gesichtern eine ganze Sammlung an Komplexen abzulesen war. Und die Ultras Sur, die Fußballhooligans, traten immer nur zu den Spielen in Erscheinung und waren als proletarische Outcasts eine Randerscheinung. Links sein galt als chic.

In den letzten paar Jahren hat sich das verändert. Während früher in Argüelles in einschlägigen Kneipen mit rustikaler Holzeinrichtung der harte Kern der Jungfrankisten ein Minderheitendasein fristete, pilgert nun am Wochenende der rechtsradikale Nachwuchs in Gestalt proletarischer Neonazis ins Zentrum dieses Stadtviertels, in einen Betonkomplex namens Aurrerá. Glatzen und Nazisymbole werden stolz zur Schau getragen – ein Novum in einer konservativen Gesellschaft, in der selbst die zerfetzten Jeans der wenigen Punks gewöhnlich gebügelt sind – Karabinerhaken, Gaspistolen und Messer gehören mit zur Ausrüstung.

Die biederen Rechtsradikalen in dem Stadtviertel Chamberí, in dem sie aufgewachsen ist, richten sich zunehmend an den harten Neonazi-Underdogs von Aurrerá aus – zum Schrecken ihrer frankistischen Eltern. Den rasierten Schädel eines Skinheads veröffentlichte die rechte Tageszeitung ABC ganzseitig auf der Titelseite, nachdem im November ein Junkie vermutlich von Rechtsradikalen totgeschlagen worden war.

„Seit ein paar Jahren ist Gewalt Mode. Die Faschos selbst halten sich für Rebellen, für revolutionär, und die blöden Tussis, die die ganze Zeit irgendwelche Ekstasepillen oder sonstwas fressen, die finden das geil“, empört sich Amalia. Sie schnappt ihre Schlüssel und eilt, sich der Menschenmenge unten einzuverleiben.

Eine neue Nacht im Madrider Dschungel hat begonnen.

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