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Einfach rumhängen wie alle anderen auch

■ Gespräch mit Dermot, einem 16jährigen katholischen Arbeitslosen aus West-Belfast

taz: Dermot, du hast die Schule vor kurzem abgebrochen, obwohl deine Leistungen ziemlich gut waren und deine Lehrer dich überreden wollten, weiterzumachen.

Dermot: Es ist doch sinnlos. Guck dich doch mal um. Es gibt keine Jobs in West-Belfast, neun von zehn Leuten sind arbeitslos. Wenn ich eine vernünftige Arbeit wollte, müßte ich nicht nur aus West-Belfast abhauen, sondern wahrscheinlich aus Irland. Dazu habe ich keinen Bock. Mein Vater ist auch arbeitslos, und ich wollte ihm nicht länger auf der Tasche liegen. Bis ich 18 bin, nehme ich offiziell an einem dieser Jugendausbildungsprogramme teil und bekomme ein paar Pfund dafür. Wenn ich 18 bin, kann ich Stütze kassieren.

Offiziell heißt das wohl, daß du die Kurse meistens schwänzt. Was machst du statt dessen den ganzen Tag?

Was soll ich schon machen? Wir hängen eben auf der Straße rum. Wenn einer Geld hat, kaufen wir ein paar Flaschen Cider. Im Sommer schnüffeln wir manchmal Kleber, weil man sich dann auf eine Wiese im Park legen kann. Ein paar von meinen Freunden klauen Autos und rasen damit herum. Ich finde das allerdings bescheuert.

Warum? Weil es zu gefährlich ist?

Weil es idiotisch ist. In den letzten paar Jahren sind 18 Jugendliche draufgegangen. Die meisten sind gegen Bäume oder Mauern gerast, ein paar sind von den Bullen erschossen worden, weil man sie angeblich für Terroristen gehalten hat. Ansonsten trauen sich die Bullen aber kaum ins Viertel, weil sie Schiß haben. Aber dafür verpaßt dir die IRA irgendwann einen Knieschuß wegen antisozialem Verhalten, wie sie es nennen. Ein paar von den Jungs in unserer Clique zeigen ihre Narben herum wie Medaillen. Das sind Schwachköpfe. Ansonsten ist es hier aber auch nicht anders als in anderen Städten in England oder Irland. Neulich war mein Cousin zu Besuch. Der wohnt in Birmingham und hängt da genauso rum wie wir hier. Die kriegen zwar keine Knieschüsse, werden dafür aber von Bürgerkomitees mit Baseballschlägern vermöbelt. Das ist fast noch schlimmer, weil es mehr weh tut.

Hat der politische Konflikt überhaupt keinen Einfluß auf dein Leben und das deiner Freunde?

Doch, natürlich. Wenn du in West-Belfast aufwächst, lernst du schon von kleinauf, wo du dich gefahrlos bewegen kannst, und wo du aufpassen mußt. Du lernst, daß du dich in der Woche vor dem 12. Juli besonders vorsehen mußt, weil die Protestanten den Jahrestag der Schlacht am Boyne, in der ihr König Wilhelm gesiegt hat, gerne feiern, indem sie ein paar Katholiken verprügeln. Du lernst, auf ungewöhnliche Dinge zu achten, zum Beispiel auf besonders langsam fahrende Autos oder neugierige Fremde. Es gibt aber viel weniger sogenannte normale Verbrechen in Belfast als in anderen Städten. Außerdem gibt es auch viel weniger obdachlose Jugendliche. Die meisten bleiben lieber bei den Eltern wohnen, als daß sie es riskieren, zur Zielscheibe bei irgendwelchen Racheaktionen zu werden. Gibt es in eurer Clique auch Mädchen?

Natürlich sind da auch Mädchen dabei. Die haben es einfacher. Keiner erwartet von ihnen, daß sie etwas zu trinken oder zu rauchen besorgen. Das bleibt an den Jungs hängen. Und wenn wir von protestantischen Banden überfallen werden, lassen sie die Mädchen fast immer in Ruhe, weil es feige wäre, Mädchen zu hauen. Das Gespräch führte

Ralf Sotscheck, Dublin

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