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Serbien: Wahlen, die niemand will

Zum drittenmal in drei Jahren wählen die Serben ein neues Parlament / Doch die Gegner von Präsident Milošević konnten sich wieder nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen  ■ Aus Belgrad Karen Thürnau

„Wir versprechen nichts“, aber „Wir halten Wort“ – „Ehrlich“! Drei Wahlslogans dreier Parteien, von Volkes Mund zusammengestellt – und das ganze Ausmaß der Unlust offenbarend, mit der alle Beteiligten die serbischen Parlamentswahlen angehen. Es sind die dritten innerhalb von drei Jahren, und es sind Wahlen, die keiner gewollt hat – am wenigsten die demokratische Opposition, die sich wieder mal von Serbiens Präsident Milošević überrumpelt und ausgetrickst sah. Selbst des Präsidenten regierende Sozialistische Partei hätte sich die aufreibende Übung sicher lieber erspart; aber nach dem Mißtrauensvotum im Herbst schien Milošević die Flucht nach vorn wohl die beste Strategie.

Hat er sich diesmal verrechnet? Das Vertrauen in die Regierungsfähigkeit der Sozialisten schwindet mit jedem Tag. Selbst die wohlwollendsten Umfragen versprechen ihnen nur noch gut jede vierte Stimme. Das Wahlbündnis Depos von Vuk Drašković und die Radikale Partei von Vojislav Šešelj können mit Stimmenanteilen von etwa 15 Prozent rechnen.

Aber in den überfüllten Straßenbahnen diskutieren die Menschen weniger über Politik als über den neuesten astronomischen Kartoffelpreis. Fragen nach ihren Wahlerwartungen rufen nur ein Achselzucken hervor: „Die sind doch alle gleich.“ Oder: „Die Opposition kann sich ja nicht mal selbst einigen.“

Nein, die Opposition kann sich nicht einigen – aber wollte sie es überhaupt? Nur einer war ernsthaft daran interessiert, die bürgerlich-demokratischen Oppositionsparteien wenn schon nicht auf einen Wahlboykott festzulegen, dann doch in dem Bündnis Depos zusammenzufassen oder sie wenigstens zu einer gemeinsamen Taktik zu überreden: Vuk Drašković, der Vorsitzende der Serbischen Erneuerungsbewegung, der damit erneut seinen Alleinvertretungsanspruch als Führer der Opposition zementieren wollte. Das mag 1991 und selbst 1992 noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Doch inzwischen ist die politische Landschaft Serbiens herangereift; andere Oppositionsparteien und -führer haben an Profil gewonnen.

Die, die Drašković unter seine Fittiche zu nehmen hoffte, sind ihm nun unliebsame Konkurrenz: auf 84 Parteien, Koalitionen und Bürgergruppierungen werden sich die Stimmen verteilen – genug, um selbst den politisch interessierten Wähler zu verwirren; genug erst recht, um der vom täglichen Überlebenskampf zermürbten Mehrheit die Lust an der Wahl zu nehmen. So fürchten sich vor allem die kleinen Parteien weniger vor den angeschlagenen Sozialisten als vor der Partei der Nichtwähler, die die Fünfprozenthürde für viele unerreichbar hoch werden läßt.

Milošević kannn die Zersplitterung der Opposition nur recht sein. Um auch das rechtsnationalistische Lager aufzuspalten, förderte die Sozialistische Partei nach Kräften die Anfang November gegründete „Serbische Einheitspartei“ des Freischärlerführers Zeljko Raznjatović, „Arkan“.

Insgesamt also keine guten Voraussetzungen für einen Wahlsieg der Opposition. Doch die bürgerlich-demokratischen Parteien scheinen aus den Fehlern der vergangenen Wahlgänge zumindest eines gelernt zu haben. Sie vermeiden die großen Staatsfragen, wo sich Milošević noch immer als kompetenter Staatsmann präsentiert, und prangerten die Unfähigkeit der Regierung, mit Massenarbeitslosigkeit und Hyperinflation fertig zu werden, an.

Drašković selbst schreckte vor großen Versprechungen nicht zurück. Nur im Falle seines Sieges würden die Sanktionen aufgehoben, schon im Februar gäbe es keine Schlangen mehr für Brot, alles wäre stabilisiert. Wie er es schaffen will, verrät er zwar nicht. Aber Draškovićs Anhänger prüfen ihn nicht, sie glauben an ihn.

Šešeljs Radikale Partei und die beiden Demokratischen Parteien entfernten sich weniger forsch von der Realität. Die Politik, die sie verkaufen, heißt: „Serbien wird sich an die Sanktionen gewöhnen müssen; aber wir haben das bessere Management, um das Überleben in der Krise zu organisieren – und zwar auf redliche Weise.“

Nun, am Ende des kurzen Wahlkampfes, kommt doch noch Spannung auf. Die Opposition fühlt sich der Macht so nah wie nie. Die Sozialisten hat Panik ergriffen; den ursprünglich geplanten Wahlslogan „Die Sozialisten – wer denn sonst?“ setzte man lieber doch nicht ein; offenbar ahnten die Wahlkampfstrategen die Antwort: „Egal wer, nur die nicht.“

Doch Milošević weiß, daß die Welt auch weiterhin mit ihm rechnet. Und das Staatsoberhaupt steht ja auch gar nicht zur Wahl. Im schlimmsten Fall erwartet ihn eine Kohabitation à la Mitterrand. Dann wäre Milošević die graue Eminenz im Hintergrund.

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