■ Mit der Hyperinflation auf du und du: Serbiens Kriegskasse
Berlin (taz) – Einst waren sie das Symbol für den Fortschritt, die vorwärtsjagenden Bronzepferde vor dem Belgrader Parlament. Heute sind sie das Zeichen für den Galopp in die Hyperinflation. Über 20.000 Prozent betrug die Teuerungsrate allein im November, die ersten 10-Milliarden-Dinar-Scheine sind bereits im Umlauf. Die verheerende Wirtschaftskrise überschattet die Wahlen am Sonntag. Das Land ist zwar bankrott und auf ein vorindustrielles Niveau zurückgeworfen, aber es steht noch lange nicht vor dem Offenbarungseid.
Die Regierung hat nämlich ein nützliches Instrument gefunden, um ihren schmutzigen Krieg zu finanzieren: die Notenpresse. Solange die Druckmaschinen in Belgrads Stadtteil Topcider nicht streiken oder das Papier nicht ausgeht, gleichen immer neue Geldscheine mit immer mehr Nullen die Kosten aus. Die Währungsmanipulation, von den Deutschen in den 20er Jahren schon einmal vorexerziert, hilft dem Milošević-Regime über die Runden. Der Staat und die zur Planwirtschaft zurückgekehrte Industrie werden durch die Geldentwertung von Schulden befreit und können voll in die Kriegsproduktion einsteigen. Und die Kriegsherren dürfen sich zurücklehnen, denn ihr Expasionsdrang kostet sie fast nichts, solange die Geldpresse auf Hochtouren läuft. Selbst Pensionen, Sozialleistungen und Gehälter behindern sie nicht mehr, denn diese lassen sich Dank der Inflation aus der Portokasse finanzieren.
Die Zeche müssen Serbiens Rentner, Arbeiter und Angestellte bezahlen, ganz zu schweigen von den Bürgern Montenegros, die ebenfalls noch zur Dinar-Zone Rest-Jugoslanwiens gehören. Sie verlieren nicht nur Pensionen, Löhne und Ersparnisse, sondern rutschen unter das Existenzminimum. Noch im Frühjahr war eine D-Mark, das tatsächliche Zahlungsmittel in Serbien, rund 50 Dinar wert, heute sind es schon über 2,5 Milliarden. Die Inflation treibt die Menschen in den Hunger; die Einkommen betragen kaum mehr zehn Mark, und dafür gibt es höchstens noch ein paar Kartoffeln zu kaufen.
Die unter dem Kriegsdiktat darbenden Menschen sind es denn auch, die bald schon zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Milošević-Sozialisten werden könnten. Noch gelingt es der SPS, die schlechte Versorgungslage mit den „ungerechten Sanktionen“ zu verschleiern und alle Schwierigkeiten auf die „Feinde der Serben“ zu schieben. „Wir stehen vor einem Abschluß eines Prozesses, der zur Vereinigung der serbischen Länder führen wird – dafür lohnt es sich, auch zu hungern“, tönte es im Wahlkampf. Nicht wenige Osteuropa-Experten aber glauben, daß die Regierung die Versorgungslage künstlich verknappt, um länger durchzuhalten. Wann macht das Volk der Dinartragödie ein Ende und verlangt: „Gebt uns Kugeln, nicht Brot.“ Erwin Single
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