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Jenseits von Jurassic Park

■ Prof. Frieder Nake, Computergrafiker der ersten Stunde, über Wahn und Wahrheit der Maschinenkunst

Als die Computer gerade aufgekommen waren, probierte er als einer der ersten, was für Bilder man mit ihrer Hilfe austüfteln könnte. Heute, nachdem er's lang schon aufgegeben hat, zählt er zu den sachverständigsten Kritikern der Computerkunst: Frieder Nake, Informatikprofessor an der Bremer Uni, erzählte der taz, was uns da erblüht.

Die meisten Künstler benutzen den Computer bloß als bequeme Malmaschine. Ist er da nicht ein bißchen unterfordert?

Schon, aber es gibt ja auch schon welche, die so richtig in die Tiefe des Apparates steigen, die sich abplagen und den Computer fast von Grund auf selber programmieren, bloß damit der lernt, beispielsweise Zeichen zu erzeugen, die einem Menschen gerade noch ähnlich sehen. Einer wie Cohen macht sowas schon lang; der ist seit Jahrzehnten mit Hilfe des Computers auf die denkbar sparsamste Repräsentation von Erscheinungen aus. Auf den Gedanken haben ihn die Felszeichnungen der nordamerikanischen Indianer gebracht. Jetzt will er sozusagen das uralte Rätsel des einfachsten Darstellens lösen, indem er's dem Computer beibringt. Daneben gibt es schon auch Künstler, die einfach mit Ingenieuren zusammenarbeiten, aber auch die extra harten wie den Wolfgang Kiwus: Der programmiert direkt auf der Maschinenebene. Sonst hab ich ja gar keinen Widerstand, sagt er. Ein alter Kiffer.

Das hat ja durchaus was Büßerhaftes. Da machen sich einige sehr schwer, was sich alle leicht machen.

Ja, ein gewisses Moment von Religiosität oder wenigstens von Mystizismus ist da schon drin, obwohl sie's wohl abstreiten würden.

Die Regel ist solche Mühsal nicht. Den üblichen Bildern sieht man eher den leichten Erfolg an als die Kunst.

Ja. Da haben Sie den entscheidenden Punkt. Man beginnt aber da umzudenken. Bei der letzten „ars electronica“ in Linz gab's Debatten um den ersten Preis. Zwei Werke lagen gleichauf, und am Ende hat man sich ausdrücklich für das selbstprogrammierte entschieden und nicht für das, wo jemand nur ein Malprogramm verwendet hatte. Endlich sei der Künstler sein eigener Werkzeugmacher, hieß es in der Begründung. In Wirklichkeit ging's darum aber schon viel länger; als wir 1963 anfingen, gab's ja noch gar keine Standard-Software; das war die heroische Zeit. In den Siebzigern kam die große Langeweile; das war alles zu teuer und zu wenig effektiv. Und in den Achtzigern ist das Selbstprogrammieren vollends in den Hintergrund getreten, als all die schicken Programme auf den Markt kamen und mit ihnen die Sonntagsmalerei. Und jetzt, in den Neunziger, wird es wieder spannend. Ich denke, die Standardsoftware wird sich im Hausgebrauch durchsetzen, und die Spitzenleute werden selber programmieren.

Aber warum soll schlecht sein, was leicht geht?

Ich denke, wo keine Schwierigkeit ist, ist es einfach banal. Da entsteht meinetwegen Ästhetik, aber kaum Kunst.

Also nichts mit „Freisetzung der Kreativität“?

Nein, das ist der alte Irrtum, Kreativität bestehe schon darin, daß man ganz viele Möglichkeiten durchspielen kann. Das ermöglicht der Computer ja wirklich. Aber gerade dadurch wird dieser Anteil der Kreativität auch entwertet. Es bedeutet nicht mehr viel. Man muß wieder woanders hin.

Aber wohin, wenn alle ganz hin- und fortgerissen sind von ihren neuen Möglichkeiten?

Naja, jetzt probieren natürlich alle herum, aber es wird nicht mehr lang dauern, dann ist das allgemein, und die Leute werden schon auf einem gewissen Niveau anfangen.

Schlägt dann endgültig die Stunde der Selbstprogrammierer?

Womöglich, ja. Jedenfalls wird man entdecken, daß der Computer eigentlich für ganz andere Dinge gut ist als für das gute alte stehende Bild. In Köln hab ich neulich gesehen, wie eine Frau mit Standard-software das Bild einer Postkarte in stundenlanger Rechenarbeit hat langsam zerstören lassen. Das ist ungefähr die Richtung. Der Computer kann winzigste Veränderungen rasend schnell umrechnen, er kann sich kontrolliert um die kleinsten Differenzen kümmern, die uns viel zu blöd wären. Das wird eine bewegte Kunst ergeben.

Was zeichnet sich da schon ab?

Jurassic Park. Diese unglaublichen und auch bombastisch teuren Effekte setzen schon Maßstäbe, sie bereiten die ökonomische Grundlage und damit den Durchbruch für ein neues Metier vor. Wenn man Menschendarsteller mit Computeranimationen mischen kann, dann haben die Leute zuhause auch bald sich selber mit Marilyn Monroe auf der Couch. Das gehört jetzt alles zu dem, was man die Jahrmarktsphase der Kunst nennen könnte.

Was heißt das fürs hergebrachte Kunstschaffen? Immer thronte die Kunst auf der Höhe des Handwerks, um dann noch eins draufzusetzen, und jetzt läßt sie plötzlich jeder Computertrickser alt aussehen?

Nein, diese trivialen Sensationen werden ja schnell langweilig. Aber auch dann dienen sie immerhin noch als Humus für weniger aufwendige, aber einfallsreichere Geschichten. Das entsteht im Computermilieu gerne so nebenbei. Ganze Betriebssysteme wie UNIX sind dadurch entstanden, daß einer in der Ecke hockte, den die andern schon ganz vergessen hatten, und einfach so vor sich hin machen konnte. Diesen einen Programmierer, der bei Jurassic Park hockte, den kennen wir nur noch nicht.

Unterm Strich wird wohl der technische Aufwand bei der Kunstproduktion ziemlich steigen.

Ja, das glaube ich auch. Und es wird, was vielleicht wichtiger ist, die Zeichenhaftigkeit des Schaffens in den Vordergrund treten, so wie auch sonst die Welt immer dichter mit einer Schicht von Zeichen überzogen wird. Daß einer sagt: es malt aus mir raus, das geht dann nicht mehr, das wird langweilig. Nein, man wird bewußter produzieren müssen. Wer dem Computer Arbeit überträgt, setzt ja erst einmal eine Menge Prozesse in Gang...

...die ein gewisses Eigenleben haben?

Genau. Die Zeichenwelt fängt an, sich zu bewegen.

So daß erst jetzt die Bilder wirklich laufen lernen?

Ja. Dieser Begriff kommt jetzt zu sich selbst.

Zugleich fängt der Computer aber auch schon an, ziemlich viel Krach zu machen. Wird auch die Kunst notgedrungen multimedial?

Ich glaube schon, obwohl der Begriff unglücklich ist. Es ist ja ein Medium, dem die herkömmlichen nur alle verfallen, soweit ihre Besonderheiten zu digitalen Signalen werden. Schon haben wir Computer, die ganz normale Musik-CDs abspielen und natürlich auch manipulieren und mit Ihrer eigenen Stimme mischen können. Die animierten Videos sind auch schon gang und gäbe. Man kann sich zum Beispiel in Amerika auf keiner Informatikerkonferenz mehr sehen lassen, wenn man kein animiertes Video dabei hat. Und alle, alle Videos sind mit dieser elektronischen Musik unterlegt. Die Kollegen, auch hier an der Uni Peitgen und Konsorten, die meinen, das muß jetzt so sein. Es ist aber nur zugemischt, also ziemlich blöd.

Nun sind ja die Leute gewöhnt, daß man mit dem Computer was anstellen kann, daß er reagiert. Der Rest ist Fernsehen.

Ja, das wird sich schon auch auf die Kunst auswirken, daß die Stärke des Computers eigentlich in der Interaktion besteht. Natürlich ist diese Interaktion nicht wirklich etwas Neues. Wenn ich vor einem Bild stehe, begebe ich mich irgendwie auch hinein, aber eine gewisse Entfernung bleibt bestehen. Nun könnte ich tatsächlich hineintreten und, beispielsweise, eigene Zeichenprozesse in Gang setzen. Dafür tritt der Künstler zurück. Eine merkwürdige Dialektik. Da gibt's ein schönes Experiment: Sie betrachten ungehindert ein Bild auf einem großen Bildschirm, aber Ihre Augenbewegungen werden aufgezeichnet, und gerade da, wo sie hinkucken, wird das Bild zerstört.

Dafür, daß man sich irgendwo hineinbegeben kann, sorgen ja schon die Programmierer von Computerspielen. Sind das nicht ernstzunehmende Gegner für die Kunst?

Jedenfalls stacheln sie deren Produktion an. Die Kunst kommt ja nicht drum rum zu sagen: Schau, das können die schon! Aber in letzter Konsequenz führt sowas immer in die Überhöhung der Gewalt- und Porno-Orgie. Und irgendwann werden's die Leute satt haben, mit der Maus rumzufummeln. Darauf sollte sich die Kunst jetzt schon vorbereiten.

Aber wenn es wahr ist, daß zur Kunst ein gewisser Schauwert gehört, sollte sie ja auch jetzt schon mithalten können. Erfordert das nicht die Bildung regelrechter Teams aus Programmierern, Grafikern, Animatoren und Konzeptmenschen?

Die Möglichkeiten der Technik erzwingen das geradezu, wenn man sie ernst nimmt. Da schlummert ein gewaltiges Potential für das, was man früher ein Kollektiv genannt hat. Über die schnellen ISDN-Leitungen kann man sich ja auch schon in Echtzeit über große Entfernungen zusammenschalten.

Ist es denkbar, daß reine Künstlercomputer entwickelt werden?

Davon bin ich überzeugt. Die Universalität dieser Maschine ist ja keineswegs immer erwünscht und manchmal eher lästig. Ich denke, in Zukunft wird man die Computer eher so bauen, daß sie für bestimmte Zwecke schon eingerichtet sind. Das wird dann auch immer seltener die Kombination Tastatur, Bildschirm, Maus sein, nein, es wird sich eher um Prozessoren handeln, die irgendwo eingekapselt sind. Man nennt das die „eingebetteten Systeme“. Das wird bereits intensiv erforscht.

So daß der Computer zugleich verschwindet und allgegenwärtig wird?

Ja. In dem Sinn, in dem die Distanz zu ihm abnimmt. Da ist ja seit den Sechzigern schon unglaublich viel geschehen. Nur sollte man wirklich nicht zu heftig spekulieren. Ich rate da dringend zur Gemächlichkeit.

Fragen: Manfred Dworschak

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