Geschenke vom Bund

■ Demonstration gegen Einberufung / Nacherfaßte 69er verbrannten auf dem Ku'damm 1.500 Musterungsbescheide

Gleich sechs Weihnachtsmänner marschierten im Stechschritt an der Spitze. Nachdem die Polizeiführung am Samstag die Demonstration der rund 700 von der Einberufung bedrohten Männer auf dem Kurfürstendamm verboten hatte, mußten die Protestierenden auf die Lietzenburger Straße ausweichen. Die Absicht der Wehrdienstverweigerer war es, den mit Weihnachtseinkäufen beschäftigten BerlinerInnen ihr „Geschenk“ von der Bundeswehr vorzustellen. Denn als „Weihnachtsgeschenk ganz besonderer Art “ betrachten die 24- und 25jährigen des Jahrgangs 1969 die Bemühungen der Kreiswehrersatzämter, viele von ihnen noch in diesem Jahr zur Armee einzuziehen. „Die vom Kreiswehrersatzamt werden noch ihre Freude an uns haben! Das Jahr 1994 wird als ein Jahr der Fehleinberufungen in die Geschichte der Bundeswehr eingehen“, versprachen die Demonstranten. Viele von ihnen stehen im Berufsleben, studieren oder haben bereits Familie.

Trotz der von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) angekündigten Reduzierung der Truppenstärke der Bundeswehr auf 350.000 Mann sieht die Wehrbereichsverwaltung keinen Anlaß, auf die Einberufung zu verzichten. Der Abteilungsleiter für das Wehrersatzwesen, Reinöhl, sprach gegenüber der taz von Wehrgerechtigkeit und Gleichbehandlung der Wehrpflichtigen. Den Widerstand der jungen Männer gegen ihre nachträgliche Erfassung bezeichnete er als künstliche Aufregung. Schließlich, so Reinöhl weiter, müsse auch im übrigen Deutschland jeder bis zum 25. Lebensjahr mit einer Einberufung rechnen.

Schlimm genug, meinen die Betroffenen. „Wir werden an unseren Arbeitsplätzen gebraucht, nicht bei der Bundeswehr!“ erzählte ein anonymer Wehrdienstgegner. Am Ende der einstündigen Demo fand eine Kundgebung auf dem Joachim-Friedrich-Platz statt. Der Berliner Kabarettist Martin Buchholz ermutigte die Wehrdienstverweigerer dazu, ihr Widerstandsrecht zu nutzen, bevor aus Widerstandsrecht wieder Standrecht werde. Eine Mutter eines von der Erfassung Betroffenen forderte den Verteidigungsminister auf, unverzüglich mit der Verfolgung und dem Mißbrauch der jungen Männer für überholte politische Zielsetzungen Schluß zu machen.

Die Kundgebung endete mit der öffentlichen Verbrennung von Musterungs- und Einberufungsbefehlen. Wie der Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Christian Herz, sagte, sind bei der Aktion mehr als 1.500, größtenteils amtlich niedergelegte Schreiben der Bundeswehr vernichtet worden. Peter Lerch