Strafsache 4 Ks 2/63

■ Vierteilige Doku über den Ausschwitz-Prozeß ab Montag, 20.45 Uhr in Hessen 3

„Bewältigung unserer Vergangenheit heißt, Gerichtstag halten über uns selbst, Gerichtstag über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte“, schrieb 1961 der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ein Widerstandskämpfer und jüdischer Emigrant, über eine Strafsache mit dem Aktenzeichen „4 Ks 2/63“.

Heute vor 30 Jahren, am 20. Dezember 1963, begann vor dem Frankfurter Schwurgericht der Auschwitz-Prozeß. Im selben Jahr stellte Bauer in einem Aufsatz fest, Hitler fände auch im Nachkriegsdeutschland einen „fruchtbaren Boden“. Mit seiner Vorstellung einer Selbstaufklärung der Gesellschaft in den Bahnen des Rechts stieß der liberale Jurist seinerzeit auf unüberhörbare Kritik. Schelte kam von der SPD bis zu großen Zeitungen. Demonstrativ widmete die FAZ am 21.12.1963 die Titelseiten-Kommentare nicht dem historischen Ereignis vor Ort, sondern Kanzler Erhardts Texas-Besuch und Chinas Außenpolitik.

Vor der „Entnazifizierung“ wollten die weitläufigen Wirtschaftswunder-Deutschen endlich ihre Ruhe haben. Dagegen sprachen die 22 Anklagen gegen ehemalige Angehörige der Waffen-SS wegen „Mordes in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen“, die 1.300 Zeugen, die im Untersuchungsverfahren aussagten, sowie 60.000 Seiten Gerichtsakten.

Zwei Jahre lang recherchierten die Autoren Rolf Bickel und Dietrich Wagner an ihrer vierteiligen Dokumentation „Strafsache 4 Ks 2/63“, die akribisch den Hintergrund des 20 Monate dauernden Verfahrens nachzeichnet. Erstmals veröffentlichen sie die 500stündigen Tonbandprotokolle des Prozesses. Vor allem mit den O-Ton-Aussagen gelingt es der HR-Dokumentation, die historische Distanz zu verkürzen und die kühlen Fakten in ihrer menschlichen Tragweite spürbar zu machen. Die stockenden, aber unerbittlich genauen Erinnerungen der Überlebenden an das auf den ersten Blick friedliche KZ, an dessen Eingang Walzertöne zu hören waren. Das eisig knappe Schweigen der Aufseher, die jede Aussage verweigern.

Bis in die Details belegt die Dokumentation, mit welch krimineller Energie das NS-Regime vorging. So verzeichnen Lagepläne direkt neben den Krematorien einen „Raum für Goldarbeit“ – die Weiterverwendung der herausgebrochenen Goldzähne, die später auch in einem Tresor der Reichsbank gefunden wurden. Neben dem Massenmord fand auch ein „riesiger, staatlich sanktionierter Raubzug“ statt.

Beachtlich nüchtern ist die Gestaltung der Dokumentation, die sich mit der Einstellung „Wer bin ich, zu richten?“ dem Thema nähert. Lange Sequenzen zeigen Fotos, Dokumente, Gesichter und ein eigens nachgebautes Modell des Gerichtssaales als Illustration der Prozeß-O-Töne. „Wir sind keine Professoren und Moralisten, sondern Journalisten“, sagt Dietrich Wagner. Bewegt erinnert er sich an die Begegnung mit dem 83jährigen Hermann Langbein. Der frühere Vorsitzende des Auschwitz-Komitees stehe heute im Schatten, lebe „sehr bescheiden“ in einem „winzigen Häuschen“ in Wien. Er resümierte: „Die Bedeutung des Prozesses liegt weniger im Urteil als vielmehr in der Feststellung des Geschehenen.“ Der damalige Staatsanwalt Joachim Kügler emigrierte nach Maastricht, weil er in Deutschland nicht mehr leben konnte. Im Interview brach er weinend zusammen. Das ist von den Angeklagten nicht überliefert.

Das rechtsstaatliche Urteil fiel seinerzeit ernüchternd aus: sechsmal „lebenslänglich“, elf befristete Zuchthausstrafen, drei Freisprüche. Der größte deutsche NS-Prozeß kam überdies nur zufällig ins Rollen, als 1959 der KZ-Häftling Emil Wulkan einem Frankfurter Journalisten Dokumente übergab, die er im Mai 1945 aus dem Breslauer SS-Gericht rettete. Der Reporter gab die Erschießungsbefehle der Lagerwachen in Auschwitz dann an den hessischen Generalstaatsanwalt Bauer weiter.

„Daß im Mikrokosmos des Lagers Auschwitz“, so das Fazit der Autoren, „der Makrokosmos der nationalsozialistischen Herrschaft wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar wird, macht den zeitgeschichtlichen Rang des Auschwitz-Prozesses aus.“ Dieter Deul

„Die Ermittlung“: 20.12, 20.45 Uhr; „Der Prozeß“: 21.12, 21.50 Uhr; „Das Urteil“: 22.12, 20.45 Uhr; „Die Diskussion“, Zusammenfassung des Kongresses über Fritz Bauer und das Auschwitz- Verfahren: 23.12., 20.15 Uhr.