■ Hanan Aschrawi will den Weg in die Demokratie sichern
: Die PLO muß sich gründlich wandeln!

Nach zwei Jahren als Sprecherin der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Washington hatte Hanan Aschrawi genug. Freitag vor einer Woche trat die 47jährige Professorin für englische Literatur in Ost-Jerusalem vor die Presse und erklärte ihren Rücktritt. Obwohl Aschrawi entschieden bestritt, daß ihr Rückzug irgend etwas mit PLO-Interna zu tun habe, wurde genau dies gemutmaßt. Jassir Arafat hatte ihr erst eine Woche zuvor den Posten der zukünftigen palästinensischen Botschafterin in Washington angeboten. Diese Offerte galt vielen Beobachtern als Versuch, die selbstständig auftretende Palästinenserin auf ein politisches Abstellgleis zu schieben.

Ashrawi war am 30. Oktober 1991 ins Rampenlicht gerückt, als sie zum Auftakt der Nahost-Friedensgespräche als Sprecherin der gemeinsamen palästinensisch-jordanischen Delegation auftrat. Ihre Ernennung stand am Ende zäher Verhandlungen des damaligen US- Außenministers James Baker, der lange vergeblich palästinensische Repräsentanten gesucht hatte, die von den Israelis als Verhandlungspartner akzeptiert würden.

taz: Warum sind Sie von der Führungsgruppe der PLO zurückgetreten?

Hanan Aschrawi: Ich will keine Machtposition, glaube auch nicht, daß eine Arbeit im Machtzentrum das ist, was wir jetzt am nötigsten brauchen. Außerdem gibt es im Augenblick hinreichend Leute, die sich nach dieser Art von Tätigkeit drängen. Ich will mich für die Zukunft bereit machen. Unsere bisherige Arbeit hat sich hauptsächlich mit der israelischen Okkupation und dem Widerstand dagegen beschäftigt. Wir wollten einen Platz für die Menschen, für die Nation erkämpfen. Damit waren wir erfolgreich. Mit dem Handschlag zwischen Arafat und Rabin sind die palästinensische Identität und deren Rechte anerkannt worden. Unzureichend, sicherlich, aber immerhin. Jetzt müssen wir uns mit den Problemen beschäftigen, die eine künftige palästinensische Staatsgewalt bringen wird. Wir müssen sicherstellen, daß die künftig Verantwortlichen die Menschenrechte respektieren, daß die Freiheit des einzelnen gewährleistet sein wird, daß wir eine demokratisch verfaßte Gesellschaft werden. Meine künftige Aufgabe sehe ich darin, die staatlichen Funktionen zu überwachen, sowohl auf der legislativen Ebene wie auch auf der exekutiven.

Wie soll die Überwachung praktisch aussehen?

Wir haben eine Kommission gebildet, die von Arafat schriftlich anerkannt wurde. Unsere Aufgabe ist die eines Wachhundes. Wir können Zugang zu allen Institutionen fordern. Wir können Unterlagen einsehen, und die Gesetzgebung überprüfen. Wir haben die Autorität, alles, was geschehen wird, zu überwachen, und deshalb haben wir die Macht, die künftige Gesellschaft zu beeinflussen.

Aber diese Kommission steht ihrerseits nicht auf legalen Füßen.

Noch nicht, aber das ist unser Ziel. Bislang haben wir nur ein Dekret, das von Arafat unterzeichnet wurde. Darin werden die Unabhängigkeit der Kommission, deren Verantwortung und das Zugeständnis festgehalten, daß weder die PLO noch eine künftige Regierung in unsere Arbeit eingreift.

Wenn Ihr Ziel eine demokratische Gesellschaft ist, weshalb bleiben Sie dann nicht in einer Führungsfunktion und versuchen von dort aus Einfluß zu nehmen? Weshalb gehen Sie schon, bevor irgend etwas geschehen ist, in die Opposition?

Die Entscheidung war nicht einfach, und ich habe monatelang darüber nachgedacht. Ich hatte das starke Gefühl, daß ein Abschnitt zu Ende geht und ein neuer beginnt. Die Herausforderungen sind jetzt andere. Die Plästinenser sind beunruhigt, sie haben Angst vor der Übergangszeit, sie fürchten, daß es undemokratisch sein wird. Vielleicht kann ich mit meiner Kommission mehr bewirken, als wenn ich eine Minderheitenposition in einer Regierung einnehme.

Aber es gibt doch zahlreiche Menschenrechtsgruppen, die sämtlich die staatlichen Institutionen überwachen wollen.

Der Unterschied ist nur, daß wir offiziell anerkannt sind. Die Menschenrechtsgruppen können lediglich protestieren. Sie haben nicht das Recht, Unterlagen einzusehen und Vorfälle zu überprüfen. Dennoch werden wir selbstverständlich mit den verschiedenen Gruppen zusammenarbeiten und von ihnen Informationen erhalten.

Sie scheinen ernste Sorgen zu haben, was den demokratischen Charakter eines künftigen palästinensischen Staates anlangt.

In jedem System braucht man Zuverlässigkeit. Was unser Leben so kompliziert macht, ist, daß wir so vielfältigen Veränderungen ausgesetzt sein werden. Wir müssen dafür sorgen, daß es überhaupt Wahlen geben wird und daß diese frei und gleich sind. Dafür muß die PLO eine grundlegende Transformation durchmachen. Sie muß sich von einer nationalen Befreiungsorganisation zur Staatlichkeit entwickeln. Das erste Mal wird die PLO es mit der Gesellschaft selbst zu tun haben. Einer Gesellschaft, die ganz besonders für demokratische Rechte gekämpft hat, eben weil sie unter einem Besatzungsregime leben mußte. Die Menschen hier werden keine Art des Zwanges akzeptieren.

Schaut man sich die Prinzipienerklärung an, gewinnt man jedoch den Eindruck, daß die Palästinenser vor allem ein Sicherheitssystem aufbauen wollen; eine starke palästinensische Polizei ist so ziehmlich das einzige, was bislang feststeht.

Ja, leider. Was die Sicherheit angeht, müssen wir sehr aufpassen. Israel rechtfertigt jedes rechtswidrige Verhalten seitens des Staates als Sicherheitsfrage. Daß eine palästinensische Polizei in der Deklaration einen so wichtigen Platz einnimmt, hat viel mit Israel zu tun. Israel will, daß die Palästinenser genug Sicherheitskräfte haben, um eine stabile Situation zu gewährleisten. Sie kümmern sich nicht darum, was wir für ein System haben, Demokratie interessiert sie nicht. Es ist eine große Gefahr, wenn die Palästinenser meinen, daß eine starke Polizei wichtig sei. Sie sollten es besser wissen. Die letzten 26 Jahre der Besatzung haben gezeigt, daß Unterdrückung und Zwang nicht funktionieren. Das bringt keine Sicherheit, es bringt Widerstand. Die Palästinenser müssen Sicherheit und Stabilität neu definieren und analysieren. Ich glaube, daß nur demokratische Strukturen Stabilität gewährleisten. Natürlich brauchen wir auch eine Polizei, aber eine zivile Polizei, die dafür da ist, den Menschen zu dienen und nicht sie zu unterdrücken.

Ist die PLO in der Lage, sich zu verändern? Es scheint so, als gäbe es in der PLO genug Menschen, die sehr zufrieden sind mit der Vetternwirtschaft und sich damit ein gutes Leben machen.

Ja, solange wir eine unnormale Situation hatten, solange die Führung im Exil war und die Menschen unter Besatzung, lebten sie ziehmlich gut damit. Aber jetzt haben wir eine Zeit der Umwälzung, und es kann so nicht mehr weitergehen. Auch die Leute, die von dem bisherigen Führungsstil profitierten, sollten verstehen, daß das nicht produktiv ist, daß es gegen das geht, was die Menschen hier wollen. Die Zentralisierung aller Macht auf Arafat ist das größte Problem. Es sollte nicht so sein, daß Arafat sowohl alles Lob wie auch allen Tadel einstreicht.

Welche Position werden die Frauen in einem palästinensischen Staat haben?

Wenn man keine sehr klaren Gesetze hat, dann werden wir wie so viele andere Staaten eine von Männern dominierte Gesellschaft werden. Wir brauchen als erstes Gesetzgebung. Aber wir brauchen auch ein starkes Frauenbewußtsein und eine starke Frauenbewegung. Bereits jetzt arbeiten Frauen auf verschiedenen Ebenen. Sie bauen eine Datenbank auf und insistieren darauf, daß sie in wichtige Positionen kommen. Vor allem aber bemühen sie sich darum, daß ihre Rechte in Gesetzen festgeschrieben werden.

Stellen die Hamas eine Gefahr da?

Sie sind einflußreich, vor allem im Gaza-Streifen, und sie werden in nächster Zukunft noch einflußreicher werden, vor allem dann, wenn die Ungerechtigkeiten weitergehen werden. Erst wenn wir in der Lage sind, demokratische Strukturen zu etablieren, und wenn sich die ökonomische Situation verbessert haben wird, werden die extremen Gruppen schwächer werden. Ich erwarte, daß die Hamas an Wahlen teilnehmen werden, und ich denke, daß das der beste Weg ist. Man muß sie partizipieren lassen, sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Wenn man Leute ausschließt, weil sie gegen das Abkommen sind, dann ist man selbst undemokratisch. Insgesamt habe ich das Gefühl, daß die Palästinenser nicht übermäßig ideologisiert sind.

Wußten Sie von den Verhandlungen in Oslo?

Ich wußte von dem Oslo-Kanal, weil ich den Kontakt hergestellt hatte. Über die Substanz der Deklaration wurde ich in Tunis unterrichtet. Ich war nicht überrascht, daß über diesen Kanal schließlich Ergebnisse erzielt wurden, denn ich war seit langem der Ansicht, daß nur direkte Verhandlungen weiterhelfen könnten. Zumal die Verhandlungen in Washington vollkommen festgefahren waren. Ich war aber ein wenig über die Inhalte des Abkommens verwundert. Es gibt zu viele Löcher und Zweideutigkeiten. Interview: Julia Albrecht