Italiens Jammer- und Schimpfprozeß

Die früheren Chefs von Sozialisten und Christdemokraten als Zeugen im Mailänder Korruptionsprozeß / Ex-Politiker und Parteifunktionäre zelebrieren sich selbst / Craxis Auftritt  ■ Aus Mailand Werner Raith

Wo die Macht entschwindet, klammert sich ihr vormaliger Inhaber leicht an die Insignien, die einst seine Privilegien symbolisierten, und das führt mitunter bis in die wirrsten Winkel der Lächerlichkeit. Italiens gewesene Parteichefs und Minister versuchen diese Regel derzeit im ersten großen Korruptionsprozeß um „Tangentopoli“, die Schmiergeldrepublik, wild entschlossen sichtbar zu machen.

Geladen sind die ehemaligen Entscheidungsträger im Verfahren um die riesigen Bestechungsgelder – umgerechnet fast eine halbe Milliarde Mark –, die der Ferruzzi- Konzern bezahlt hatte, um eine Fusion mit dem staatlichen Chemiekonzern ENI durchzuführen und danach, mit nochmaligem Gewinn, wiederaufzulösen. Und da hat jeder Minister und Parteichef eben eine eigene Art, zu demonstrieren, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Den Gipfel erreichte der Reigen vor dem Schwurgericht Mailand am vergangenen Freitag, als am Vormittag der ehemalige christdemokratische Parteichef Arnaldo Forlani und am späten Nachmittag sein ebenfalls ehemaliger Kollege von der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi, als Zeugen aussagten.

Die letzten Insignien, die ihnen geblieben waren, bestanden in der freien Wahl des Zeitpunktes ihrer Aussage – und davon hatten sie gebührend Gebrauch gemacht; beide waren nicht zum Ladungstermin vorige Woche erschienen, Forlani hatte sich immerhin auf den Freitag festgelegt. Craxi wollte eigentlich am 22. aussagen, doch plötzlich stand er da, und der Gerichtshof ließ sich auf das Spiel ein und scheuchte kurzerhand einen gerade aussagenden anderen Zeugen weg.

Noch sind sie Zeugen, die gut 20 Politiker und Parteifunktionäre, denn ihre Verfahren sind wegen der Prozedur zur Aufhebung ihrer Immunität meist erst später abzuwickeln. Sie hätten, als künftige Angeklagte, immerhin die Möglichkeit der Aussageverweigerung, weil sie sich nicht selbst belasten müssen. Doch der Himmel bewahre – erst einer hat gesagt, er werde den Deibel tun und sich noch weiter in den Schlamassel hineinreiten. Die anderen nahmen auf dem Stuhl vor dem Gericht fein Platz und zelebrierten sich dann ungeniert selbst.

So konnte der Zuschauer erleben, wie von Berufs wegen stets zwischen gewinnendem Lächeln und sorgenzerfurchter Beklemmung schwankende Parteikassierer die Annahme von – umgerechnet – Millionen und Abermillionen Mark gestanden; daß alles nur zum besten des Volkes gedacht war, versteht sich von selbst.

Ein Zeuge, der ehemalige Schatzminister Paolo Cirino Pomicino, spielte seine Ex-Rolle des freundlich-bestimmten Präpotenten auf andere Weise: Auf keine der Fragen von Staatsanwalt Antonio Di Pietro gab er die entsprechende Antwort, aber stets, wenn der Ankläger nachhakte, belehrte er ihn: „Hätten Sie mich ausreden lassen, ich hätte es schon noch gesagt.“ Will heißen: Ein bisserl Spannung muß schon sein, sonst sag' ich gar nix mehr.

Am Ende war's, als hätte man einen Pudding an die Wand nageln wollen – der Mann hatte kassiert und kassiert, doch eigentlich hatte er gar nicht kassiert, das Geld war ihm einfach in die Akten- oder Hosentaschen geraten, und warum, das hatte er einfach zu fragen vergessen. Auf jeden Fall hatte er es nächstenliebend verwendet – „für meine politischen Freunde“.

Derlei glibberige Erfahrung wollte Di Pietro diesmal nicht wiederholen, und so ließ er Craxi völlig freien Lauf – vielleicht aber war er auch nur froh, daß dieser von selbst redete. Denn am Vormittag, als Forlani aussagte, waren meist drei bis vier Anläufe notwendig gewesen, dem Mann auch nur einen Satz zu entlocken: Der 65jährige Ex-DC-Chef hatte gestammelt, gebrummelt, dreingeschaut wie ein ertappter Schüler und gemeint, bis heute noch gar nicht so genau zu wissen, ob da wirklich irgendwann irgendwo von irgendwem irgend jemandem Schmiergleder zugesteckt worden seien; daß er selbst seinen Kassierer, wie dieser behauptet, zum Geldholen etwa zum Generalmanager von Ferruzzi geschickt hatte, kann er sich gar nicht vorstellen.

Doch Craxi holte alles wieder auf: Er redete wie ein Buch, haute rundum auf alles ein, was jemals Macht und Ansehen hatte, auf seinen unternehmerischen Angstgegner von jeher, den Fiat-Konzern, und den politischen Angstgegner PDS, die Ex-Kommunisten; auf den Senats- und den Kammerpräsidenten und auf seine eigenen Vorgänger und Nachfolger in der Sozialistischen Partei – am Ende fehlte nur der Papst im illustren Reigen: Alle, alle haben sie geschmiert oder sind geschmiert worden, man bekam den Eindruck, daß Italiens Firmen nie irgend etwas produziert haben, weil sie Tag und Nacht mit Schmieren beschäftigt waren, und daß die Politiker ebenfalls 24 Stunden am Tag kassiert und nichts anderes getan hatten. Erstaunlich allerdings: Selbst hat er nie etwas genommen, der Craxi, sondern immer nur sein Kassierer, aber Bescheid gewußt, ja, das hat er. Auf die schüchterne Frage des Vorsitzenden, ob er denn für seine Anklagen etwa gegen Fiat oder seine Behauptungen über riesige illegale Geldzuwendungen für die KP aus Moskau Beweise habe, trompete er ein lautes „Aber natürlich!“ heraus. Und wo denn diese Beweise seien? „Die kommen zutage, wenn einst einmal die Archive des KGB in Moskau geöffnet werden.“

Anzunehmen, daß ihn jeder amerikanische, englische, aber auch deutsche Staatsanwalt nach spätestens fünf Minuten unterbrochen und zur Aussage zum hier anstehenden Verfahren gezwungen hätte. Aber so sind Italiens Gerichtsverfahren eben nicht. Wenn einer seinen Auftritt hat und so in Fahrt gerät, sind selbst seine Intimgegner ob der Ästhetik der Szene so aus dem Häuschen, daß sie sich gar nicht mehr erinnern, wozu der Mann eigentlich gekommen war.

Am Ende fiel's Di Pietro dann doch wieder ein, und er warf den Namen „Ferruzzi“ in den Redefluß des Großen Sozialisten hinein. Der ließ sich nicht ablenken, redete noch minutenlang von anderen Dingen weiter und sagte dann lapidar, daß Ferruzzi wie alle anderen auch geschmiert habe, aber, natürlich, wieder mal nicht ihn persönlich, sondern alle anderen, vielleicht auch seinen Kassierer, aber wer will das schon wissen: der Mann ist tot und der einstige Ferruzzi-Eigner Raul Gardini auch.

Es war vielleicht wirklich der letzte große Auftritt Craxis, und vielleicht konnte er wirklich zum letzen Mal noch ein kleines Stück Macht zeigen – drei Tage zuvor hatte er, bei seinem Comebackversuch auf dem Kongreß seiner verzweifelten Partei, nicht einmal mehr die von ihm beabsichtigte Spaltung durchzusetzen vermocht.