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Mord unter den Augen des Geheimdiensts

Akten des Verfassungsschutzes weisen darauf hin, daß iranische Agenten an der Vorbereitung des „Mykonos“-Attentates beteiligt waren / Deutsche Sicherheitsbehörden versagten  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Dem Leiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Annußek, kommt das bleibende Verdienst zu, die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland um den „praktizierenden Terroristen“ ergänzt zu haben. Das Attribut diente ihm vor dem „Mykonos“-Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses zur feinsinnigen Differenzierung der Gefährlichkeit des Iraners Kazem Darabi. Darabi ist zur Zeit vor dem Berliner Kammergericht angeklagt, als Agent des iranischen Geheimdienstes Vevak Drahtzieher des Attentates zu sein, dem am 17. September 1992 vier führende kurdisch-iranische Oppositionspolitiker zum Opfer fielen. Er sei, so Annußeks nachträgliche Bewertung, in der Zeit vor dem Anschlag seinem Amte zwar eine Beobachtung wert gewesen, doch habe man ihn eben nicht als „praktizierenden Terroristen“ eingeschätzt – weshalb diese Überwachung über Monate hinweg unterblieb. Auch der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckart Werthebach, hegte bis zum Tag des Attentates nicht „eine solche Bewertung Darabis als gefährlichen Terroristen“.

Mittlerweile mehren sich die Zweifel an dieser Lageeinschätzung der Sicherheitsorgane. Diese wären womöglich zu anderen Ergebnissen gekommen und hätten den Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran, Sadegh Sharafkandi, und seine drei Begleiter besser schützen können, hätten sie ihre eigenen Quellen besser koordiniert und ausgeschöpft. So wurde bereits am 16. April 1992 die Ausländerakte Kazem Darabis „dringend“ vom Bundeskriminalamt angefordert. Wie einem BKA-Schreiben zu entnehmen ist, das der taz vorliegt, ermittelten die Fahnder damals auf Ersuchen des Generalbundesanwaltes gegen mehrere Personen „wegen Verdachts der versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und des versuchten Mordes“. Zu den Hintergründen der Ermittlungen wollte sich die Bundesanwaltschaft gegenüber der taz nicht äußern, doch kann man aus dem Umstand, daß Darabis Ausländerakte angefordert wurde, schließen, daß er den Ermittlern als Verdächtiger galt. Seine Ausländerakte wurde zu jener Zeit gerade in der Senatsinnenverwaltung überprüft, doch keiner der beteiligten Beamten wurde ob dieser Anfrage stutzig.

Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast versucht im Ausschuß die Hintergründe einer BfV-Meldung zu erhellen, wonach gleichfalls zu Beginn des Jahres 1992 in einer Hamburger Moschee von mehreren Personen Anschläge auf israelische Einrichtungen in der BRD vorbereitet würden, darunter auch ein Kazem D.

Die Neugierde von Künasts FDP-Kollegen Rolf-Peter Lange gilt gleichfalls einer Liste mit einem knappen Dutzend Namen, die vom BKA zur gleichen Zeit im Bereich Ausländerextremismus in Deutschland als gefährlich eingestuft werden, darunter wiederum Darabi. Zwar hatten die Bundesverfassungsschützer bereits im Januar 1992 ihren Berliner Kollegen mitgeteilt, daß sie die Telefonüberwachung Darabis eingetellt hätten, und empfohlen, daß das Landesamt operative Maßnahmen einleiten solle – doch diese Maßnahmen unterblieben. Angeblich konnte kein der persischen Sprache mächtiger Dolmetscher gefunden werden. Die Telefonüberwachung wurde erst zwei Wochen nach dem Attentat bewilligt.

Doch auch während dieser „Sicherheitslücke“ in den Monaten vor dem Anschlag blieb die Szene, wie sich nun herausstellt, nicht unbeobachtet. In einem internen Vermerk für den Generalbundesanwalt (Az.: VC 11-247-S350 070/93) rapportiert das Bundesamt für Verfassungsschutz: „Neben Darabi und seinem Berliner Umfeld waren auch Angehörige iranischer ND (Nachrichtendienste, d. Red.) unmittelbar an den Tatvorbereitungen beteiligt. So sind iranische ND- Angehörige vor der Tat in Deutschland gewesen und haben Tatörtlichkeiten sowie Fluchtwege ausgekundschaftet.“

Das achtseitige Verfassungsschutzpapier berichtet auch von den intensiven Kontakten, die Darabi zu den iranischen Diplomaten in Deutschland pflegt. So stand er mit Hassan Djavady in Verbindung, der bis Oktober 1989 an der iranischen Botschaft in Bonn tätig war. Bei ihm handelt es sich, laut Vermerk, „um einen Mitarbeiter des iranischen Nachrichtendienstes MOIS, der in der Bundesrepublik Deutschland u.a. für die Beobachtung und Ausforschung der iranischen Opposition zuständig war“. Diese Aufgabe wurde, nach BfV-Erkenntnissen, „von dem an der iranischen Botschaft in Bonn tätigen MOIS-Mitarbeiter Morteza Gholami übernommen“. Ferner unterhalte Darabi auch Kontakte zu Angehörigen des iranischen Nachrichtendienstes in Berlin. Wie der Verfassungsschutz vermerkte, erhielt Darabi am 24. April 1991 „vom am Iranischen Generalkonsulat in Berlin tätigen Konsul Mahmud Amani-Farani den Auftrag, Informationen über ein Mitglied der „Vereinigung der Studenten Kurdistans im Ausland zu sammeln“. Wegen dieses Ausforschungsauftrages ist nach Ansicht der Verfassungsschützer bei Aman-Farani „ebenfalls von einer ND-Tätigkeit auszugehen“. Amani-Farani sei „neben dem Generalkonsul“ Darabis wichtigster Ansprechpartner im iranischen Generalkonsulat.

Nach Erkenntnissen des iranischen Oppositionsbündnisses „Nationaler Widerstandsrat“ hat der iranische Geheimdienst mittlerweile Wege gefunden, auch nach dessen Inhaftierung regelmäßigen Kontakt mit Darabi zu unterhalten. Der Sprecher des Widerstandsrates, Javad Dabiran, erhob diese Woche eine Reihe von Vorwürfen gegen einzelne Diplomaten. Die fehlenden Belege für diese Anschuldigungen wolle er, so Dabiran, den deutschen Sicherheitsbehörden übergeben. Nach Dabirans Worten sitzen die Drahtzieher im dritten Stock der iranischen Botschaft in Bonn, dort, wo sich die Abteilung des Geheimdienstes Vevak befinde. Diese Abteilung sei bis vor zwei Wochen von Alireza Haghighian geleitet worden, der, als Botschaftsattaché getarnt, ranghöchster Vevak-Agent in Deutschland sei. Mittlerweile sei er zur Geheimdienstzentrale nach Teheran zurückgekehrt. Dabiran beschuldigt zudem die beiden Zweiten Botschaftssekretäre Ali Dschafari Meschki und Hamidreza Ghalibaf, sich in den letzten Wochen als Vevak-Agenten „intensiv mit dem Fall (Mykonos, d. Red) beschäftigt“ zu haben. Einer der Agenten, die für den Kontakt zu Darabi zuständig seien, so der Oppositionspolitiker, sei ein Farhad D. D. war bereits 1982 zusammen mit Darabi in Mainz an einem Überfall auf oppositionelle Studenten beteiligt, nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes steht er „mit dem iranischen Geheimdienst in Verbindung“. Die beiden zählen zusammen mit Bahman B. „zu den führenden Funktionären der USIA“. Die „Union islamischer Studenten in Europa“ ist „ein Sammelbecken der iranischen Regimeanhänger im europäischen Ausland“. B. soll, so der Bericht des Verfassungsschutzes, seit etwa 1989 „für den iranischen Nachrichtendienst MOIS“ arbeiten. Seine Frau arbeite beim iranischen Konsulat in Berlin.

Diese intensiven Aktivitäten der iranischen Diplomatie dürften auch dem obersten Dienstherrn der deutschen Geheimdienste, dem Staatsminister im Kanzleramt Bernd Schmidbauer, nicht verborgen geblieben sein. Nach Dabirans Einschätzung hat der „Mykonos“-Komplex auch bei dessen umstrittenen Gesprächen mit seinem iranischen Amtskollegen Ali Fallahian eine entscheidende Rolle gespielt. Schmidbauer sollte eigentlich am Donnerstag dem Untersuchungsausschuß Rede und Antwort darüber stehen, welche Rolle der „Mykonos“-Komplex bei seinem Iran-Kontakt spielte. Doch der Termin platzte, da er angeblich vom Bundeskabinett noch keine Aussagegenehmigung erhalten hatte. Eine erneute Vernehmung ist nun für den Januar anberaumt.

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