■ Die Krise auch als Chance nutzen: Teilzeitarbeit für alle!
: Männerwelten brechen zusammen

Es ist nicht zynisch zu sagen, daß die gegenwärtige zwangsweise Freisetzung des Mannes aus der Erwerbsarbeit auch eine phantastische Befreiung sein kann. Was da den „Crash“ erlebt, ist nicht nur die Markt-Ökonomie, sondern auch das traditionelle herrschaftliche Männersystem. Nun geraten nicht mehr nur die anderen, „Nicht-Normalen“, Nicht-Lohnarbeitsfähigen – Frauen, Kranke, Alte, Unausgebildete – in die Fänge der Moloche der modernen Industriegesellschaft. Jetzt trifft es deren hauptsächlichen Träger selbst, den männlichen Helden unserer Konkurrenzgesellschaft. Das – endlich – beginnt die Gesellschaft zu erschüttern.

Mit der dramatisch wachsenden Erwerbslosigkeit aber entfällt weit mehr als sinnvolle Beschäftigung, Arbeit als Gelderwirtschaftung zur Existenzsicherung oder zum Luxuserwerb. Mit diesen Veränderungen brechen Männerwelten zusammen. Die Lebensweisen der Männer, ihre Identitäten, Weltbilder und Werte, werden zutiefst in Frage gestellt. Der Glaube an Wachstum, Rationalität und Effektivität, an die Machbarkeit und Beherrschbarkeit aller Dinge; die Macht, politisch zu herrschen, weil man alle Ressourcen der Gesellschaft unter Kontrolle hat; Identität und Bedeutung über Arbeit, Leistung und Besitz; die Möglichkeit, sich Familie und „Menschlichkeit“ zu kaufen; die Chance, „Stärke“ zu haben, solange man Schwächere, d.h. Abhängige unter seinem „Schutz“ weiß; das Denken in sauber getrennten Entweder- Oder-Welten; sie zeigen sich als unhaltbare Lügen, zumindest als Merkmale einer Vergangenheit.

Welche Chance aber, wo diese Männerwelten nun erodieren! Wie so oft befördert besonders das eigene Scheitern neue Einsichten. Nun ist es an der Zeit, Auswege in der „Mitte“ der Gesellschaft und mit Relevanz für viele zu suchen und zu finden. Doch „natürlich“ wird über Frauen in Kontext der Beschäftigungskrise kaum gesprochen, obwohl sie seit je – und jüngst wieder im Osten des Landes – deren hauptsächliche Opfer sind. Feministische Einsichten und Perspektiven müssen jetzt auf die notwendige Neugestaltung der gesamten Gesellschaft angewendet, vielstimmig und kräftig in die öffentliche Auseinandersetzung eingebracht werden. Dieser Augenblick der Chance zur Überwindung patriarchaler Kernstrukturen, zur tiefen strukturellen Veränderung im gesamten System von Arbeit – von produktiver und reproduktiver Arbeit, ihrer Definition, Verteilung und Bewertung – darf unter keinen Umständen vergeben werden. Denn die Neukonstruktion des gesellschaftlichen Arbeitsvertrags entscheidet an der Basis von Gesellschaft über die Chance von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Endlich könnten mehrere große Probleme an einem roten Faden entlang neu aufgerollt werden.

Die 30-Stunden-Woche für alle bzw. die Fünf-Tage-Woche mit je sechs Stunden Erwerbszeit für alle hatten die Frauen schon Mitte der achtziger Jahre gefordert. Das wäre so etwas wie Teilzeitarbeit für alle. Die Perspektive läge dabei in einem „einheitlichen“ flexiblen Gesamtarbeitsmarkt. Der wichtigste erste Schritt dahin ist die volle sozial- und tarifrechtliche Absicherung von Teilzeitarbeit, im Recht der Männer auf Teilzeitarbeit einschließlich der aktiven Förderung eines solchen Weges sowie im Recht auf Mitbestimmung der Beschäftigten bei deren Auswahl und Ausgestaltung.

Auf der Basis einer durchschnittlichen 30-Stunden-Woche könnte eine flexible Gestaltung der Arbeitszeiten über ein ganzes Leben orientiert an den Bedürfnissen der Beschäftigten einsetzen, die jeweils spezifisch gefördert werden kann. Für mehr als 30 Stunden Erwerbsarbeit müßte es höhere steuerliche Abgaben, für weniger zugunsten von mehr Betreuungsarbeit im persönlichen Lebensbereich umgekehrt deutlich höhere Subventionen geben; mehr Bildungsarbeit könnte teilsubventioniert werden, mehr Freizeit geht auf eigene Rechnung, langsames Ausscheiden im Alter mit steuerlicher Erleichterung. Das Problem des „Lohnausgleiches“ muß ebenfalls differenziert beantwortet werden. Zuvorderst wäre zu bedenken, daß time is money auch umgekehrt gilt. Wer mehr Zeit hat, kann manche Ausgaben sparen.

Um lange Arbeitszeiten zu reduzieren, kann bei gleichem Stundenlohn Freizeitausgleich erfolgen. Wo unverhältnismäßig hohe (Männer-)Löhne gezahlt werden, ist Reallohnabbau vertretbar, alle Reste von Familienlohn für Männer gehören dazu. Dagegen müssen untere Lohngruppen durch öffentliche Hilfen aufgestockt und im Zuge dessen vor allem die unterbewerteten traditionell weiblichen Berufe (z.B. Pflege, Erziehung, Dienstleistung) materiell deutlich aufgewertet werden. Für diese Konzepte müßte eine neue Arbeitszeitpolitik auf allen Ebenen mit der Förderung eines zweiten Arbeitsmarktes Hand in Hand greifen, damit bei den einen reduziert werden kann, um die anderen in den Erwerbsmarkt hineinzuführen und so ein neues integratives Gesamtkonzept zu finden.

Neu verteilt und bewertet würde aber auch die sogenannte Haus- und Familienarbeit, die besser private (Selbst-)Versorgungsarbeit genannt werden sollte. Traditionell nicht einmal „Arbeit“, sondern „Liebe“, ist sie gesellschaftlich so notwendig wie die öffentliche Arbeit und muß als Arbeit an anderen ihren entsprechenden Preis haben. Deshalb sollte eine pflegende Person für ihre Sorgearbeit an Kindern, Alten oder Kranken so gut subventioniert werden, daß der Betrag etwa dem Lohn einer freiwilligen Mehrarbeit über 30 Wochenstunden hinaus entspricht. Auf diesem Weg würden Frauen endlich von Doppelarbeit entlastet und könnte es endlich fürsorgende Väter und Männer geben, die den Kindern und der zunehmend gewalttätigen Gesellschaft so fehlen.

Übergangsweise sollte es sogar einen öffentlichen Ausgleich für den Ausfall der noch ungleich höheren Männerlöhne zum gesamten Familieneinkommen geben. Alleinerziehenden muß jeweils der gleiche Freistellungs- und Finanz- Anspruch eingeräumt werden wie einem Elternpaar zusammen. Im übrigen käme es auf Kompatibilität, Übergänge und Rückzugs- wie Rückkehrrechte zwischen beiden Lebensbereichen an.

Diese Veränderungen sind jedoch nicht ohne eine Veränderung des Sozialstaatssystems denkbar, das im Ursprung auf der männlichen Erwerbsarbeit und Familienoberhauptrolle aufbaut. Dabei wäre das Modell einer minimalen Grundrente neu zu diskutieren, sämtliche Sozialsicherungssysteme müßten auf der gleichen Eigenständigkeit einer jeden Person aufbauen.

Eine derartige Ausgestaltung der Gesamtarbeit würde für alle endlich auch mehr freie Zeit, heute vielleicht das kostbarste Gut, ermöglichen. Die Errungenschaft der Moderne – ein Privatleben – würde erstmals wirklich auch für Frauen gelten und für Männer ohne das Recht auf Ausbeutung. Vor allem aber wäre mit all dem eine neue Lebensorientierung und eine andere Lebensqualität verbunden, nicht nur eine ökologische und sozialere, sondern auch eine humanere und demokratischere. Nicht die Raserei, die Maschine, der Konsum, die Zerstörung stünden im Vordergrund, sondern der Mensch und das Leben. Solidarität bekäme einen materiellen und mentalen Raum, Selbstbestimmung und mehr Freiheit hätten eine Chance. Mechtild Jansen

Journalistin, lebt in Köln