Aufstand gegen die Parteiführung

■ Polens Sozialdemokraten wollen ihren Wahlsieg auskosten

Warschau (taz) – In Polens Regierungskoalition beginnt es zu knistern. Die Parlamentsfraktionen der Bauernpartei und ex-kommunistischen Sozialdemokraten proben den Aufstand gegen die moderate Linie der Parteiführung. Denn diese hat sich bisher nur für leichte Korrekturen der bisherigen Wirtschaftspolitik ausgesprochen. Viele Abgeordnete dagegen verspüren den Drang, ihren Wahlsieg auszukosten.

Inzwischen ist deutlich geworden, daß aus den Wahlversprechen der Regierungsparteien, die Renten zu 100 Prozent an die Inflation anzupassen, nichts werden wird. 1994 sollen die Renten auf dem bisherigen Niveau bleiben, erst im Folgejahr sei an eine 93prozentige statt der bisherigen 91prozentigen Anpassung zu denken. Zumindest bis zur Verabschiedung des Haushalts will die Regierung auch einen Konflikt mit der Kirche über das von der Regierung Suchocka unterzeichnete Konkordat und eine Änderung des Abtreibungsgesetzes vermeiden.

Die eigene Basis hat ihr dabei allerdings schon mehrere Striche durch die Rechnung gemacht. So haben Abgeordnete der früheren kommunistischen Gewerkschaften OPZZ im Parlament die ersatzlose Streichung einer Steuer durchgesetzt, die ein übermäßiges Wachstum der Löhne in Staatsbetrieben verhindern sollte. Die überparteiliche Frauenfraktion, der vor allem Abgeordnete von Demokratischer Union und Ex- Kommunisten angehören, brachte einen Antrag zur Einführung der sozialen Indikation ein.

Polens neue Regierung hat nun offenbar beschlossen, die Gemüter durch vermehrte Postenvergabe zu beruhigen. Michal Strak, Chef des Ministerratsamtes, verkündete schon kurz nach dem Wahlsieg der Regierungsparteien, in den Woiwodschaften sollten die Posten der Woiwoden dem jeweiligen örtlichen Wahlergebnis nach besetzt werden. Polens Sozialdemokraten dagegen erklärten zunächst, sie würden sich einer solchen „Aufteilung der Beute“ entgegenstellen, Säuberungen in der Verwaltung werde es nicht geben. Inzwischen sprechen allerdings auch sie immer öfter von der Notwendigkeit von Umbesetzungen. Nur ca. 10 von 49 Woiwoden könnten ruhig schlafen, verkündeten Regierungsvertreter diese Woche. Die Postenvergabe hat auch bereits zu einem ersten Konflikt mit Präsident Walesa geführt, dem die Regierung das Außenministerium, das Innenministerium und das Verteidigungsministerium zunächst kampflos überlassen hatte. Nun sollen zur Kontrolle Vizeminister der Koalitionsparteien eingesetzt werden. Walesa betrachtet dies als Kampfansage gegen den, wie er sich ausdrückte, „apolitischen Charakter dieser Ministerien“. Er werde eine parteiliche Politisierung seiner Ministerien nicht zulassen. Einigkeit herrscht in der Koalition so vor allem, wenn es gegen die Opposition geht. So stand am Freitag die Abstimmung über die Entlastung der abgetretenen Regierung auf der Tagesordnung. Zum ersten Mal nach dem Krieg verweigerte der Sejm der Regierung die Entlastung, obwohl der Oberste Rechnungshof dem Kabinett von Hanna Suchocka in einem Gutachten eine sachgemäßige Ausführung des Budgets bescheinigt hatte. Während sich Premier Pawlak und der Chef der Sozialdemokraten, Aleksander Kwasniewski, der Stimme enthielten, stimmte die Mehrzahl der Koalitionsabgeordneten mit Nein. Wäre Suchocka noch im Amt, müßte sie nun zurücktreten. So ist es nur eine politische Ohrfeige, die sich allerdings auch ein wenig gegen Premier Pawlak richtet. Denn schließlich leitete er 1992 zumindest einen Monat lang die Regierung.

Und weil Suchocka nach der Auflösung des Parlaments im Sommer einige Monate lang weiterregiert hatte, haben die Regierungsparteien nun auch gleich noch einen Untersuchungsausschuß dazu eingesetzt, auf dem insbesondere der fundamentalistische Flügel der Bauernpartei bestanden hatte. So geraten die an sich moderaten Parteiführungen der Koalitionsparteien immer mehr ins Fahrwasser ihrer radikaleren Basis. Klaus Bachmann