Flüchtlinge werden geprellt

Bei der Umsetzung des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes verstoßen viele Länder gegen gesetzliche Bestimmungen / In Ostdeutschland sind diskriminierende Wertgutscheine die Regel  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) – Das 24seitige Rechtsgutachten des baden-württembergischen Justizministeriums läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. „Zweifelhaft“, „rechtlich bedenklich“ und „unzulässig“ lautete das Urteil. Inzwischen ist das „unzulässige“ Vorhaben längst gängige Praxis: Bei der Gewährung der Sozialhilfe an Asylbewerber setzen sich zahlreiche Bundesländer über die gesetzlichen Bestimmungen hinweg. Sie legen das seit November gültige „Asylbewerberleistungsgesetz“ bewußt zuungunsten der Flüchtlinge aus. Etliche Landesregierungen, darunter vor allem die ostdeutschen Länder, haben die unzulässige Praxis sogar in ihren Ausführungsbestimmungen festgeschrieben.

Für Neuankömmlinge und erst seit kurzem in Deutschland lebende Asylbewerber schreibt das neue Gesetz drastische Sozialhilfekürzungen und die Gewährung der Hilfe als Sachleistung vor. Für eine nicht unbeträchtliche Gruppe „privilegierter“ Flüchtlinge gelten diese Einschränkungen jedoch nicht: Asylbewerber, die schon länger als zwölf Monate in der Bundesrepublik leben, und geduldete Flüchtlinge sollen nach den Regeln des Bundesozialhilferechts behandelt werden. So steht es im Paragraph 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes, und so wollten es die Politiker auch nach eingehender parlamentarischer Beratung. Doch während das Sozialhilfegesetz die Auszahlung von Bargeld zum Grundsatz macht, bekommen auch die „privilegierten“ Flüchtlinge meist nur Sachleistungen ausgehändigt. In sämtlichen ostdeutschen Bundesländern sind diskriminierende Wertgutscheine, oder Essenspakete die Regel. Und auch in Baden-Württemberg kriegen Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften mit mehr als 30 Bewohnern automatisch nur noch Sachleistungen zu Gesicht, egal zu welcher Flüchtlingsgruppe sie gehören. Begründung der zuständigen Ministerien: in den Sammelunterkünften seien Neuankömmlinge und schon länger in Deutschland lebende Flüchtlinge gemeinsam untergebracht. Eine ungleiche Behandlung sei deshalb „unpraktikabel“, „unrentabel“ und schaffe soziale Spannungen. Praktisch und rentabel mag die praktizierte Regelung sein, legal ist sie nicht.

Die Ungleichbehandlung der Flüchtlingsgruppen, so führt das Rechtsgutachten des baden-württembergischen Justizministeriums aus, sei vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt. Das gelte sowohl für die Höhe der Hilfe als auch für die Form, in der sie ausbezahlt wird. Das Gesetz intendiere ausdrücklich eine Annäherung der Lebenssituation „privilegierter“ Asylbewerber an die der deutschen Sozialhilfeempfänger. Und für die sei Bargeldzahlung die Regel. Ausnahmen seien nur zulässig, wenn besondere Einzelumstände das begründeten. Auch das Argument vieler Bundesländer, Asylbewerber seien Insassen von Senioren- oder Pflegeheimen gleichgestellt und zur Gemeinschaftsverpflegung mit kleinem Taschengeld „verdonnert“, verwirft das Justizministerium unter Berufung auf höchstinstanzliche Rechtsprechung. Fazit des Gutachtens: „Eine pauschale Verweisung sämtlicher privilegierter Asylbewerber [auf Sachleistungen, d. Red.] ohne die Prüfung konkreter Verdachtsmomente ist nicht zulässig“. Zu einem ähnlichen Schluß kommt jetzt auch das Oberverwaltungsgericht Berlin: das neue Gesetz beruhe „ersichtlich auf dem Gedanken, daß die erheblichen Einschränkungen des Anspruches auf Sozialhilfe und der Sachleistungsgrundsatz auf das erste Jahr des Asylverfahrens begrenzt sein sollen“.

Andere Bundesländer haben von vornherein klargestellt, daß der Paragraph 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes Sachleistungen für „privilegierte“ Asylbewerber ausschließt. „Die zu erbringenden Leistungen sind grundsätzlich Geldleistungen“, heißt es knapp und klar in den Berliner Ausführungsbestimmungen und „der Regelfall ist die Geldleistung, wovon nur in begründeten Ausnahmefällen ... abgewichen werden kann“, schreibt auch das zuständige Ministerium in Niedersachsen.

Den Bundesländern, die dennoch Sachleistungen zahlen, ist die Fragwürdigkeit ihrer Praxis durchaus bewußt. Offenbar spekulieren sie darauf, daß nur die wenigsten Betroffenen klagen.

Mittlerweile sind zwar die ersten Beschwerden bei brandenburgischen Gerichten anhängig, doch ehe es zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommt, dürften die meisten Kläger längst ausgereist sein. Auch auf andere Weise versuchen die Behörden das Gesetz zu umgehen: nach Informationen des Flüchtlingsrates Niedersachsen verweigern zahlreiche Kommunen den „privilegierten“ Asylbewerbern einmalige Leistungen, die ihnen nach dem Sozialhilfegesetz zustehen. So verwehren die Städte Hildesheim und Wolfsburg diesen Flüchtlingen die Weihnachtsbeihilfe und zahlen nur einen gekürzten Kleidergeldzuschuß. Bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge gewähren viele Kommunen nur Hilfe im Notfall. Die Versorgung der Flüchtlinge mit Sachleistungen ist dabei für pfiffige Unternehmen ein blühendes Geschäft. In etlichen ostdeutschen Bundesländern versorgt zum Beispiel die Firma Meigo im staatlichen Auftrag Asylunterkünfte mit Essenspaketen. Vergleichende Kontrolleinkäufe des Ausländerrates Dresden zeigten, daß die Pakete, die einen monatlichen Wert von 272 Mark haben sollen, tatsächlich nur Lebensmittel für 170 bis 214 Mark enthalten. Ein Teil der Sozialhilfe, die den Flüchtlingen zusteht, kassiert auf diese Weise das Zulieferunternehmen.