Saubermann Bossi auch?

Schmiergeldrepublik Italien: Ermittlungen gegen den Führer der norditalienischen Sezessionisten  ■ Aus Mailand Werner Raith

Ist der Vormarsch der oberitalienischen „Ligen“ nun plötzlich doch zum Stillstand gekommen? Schon vor zwei Wochen, bei den Stichwahlen für die Bürgermeisterämter mehrerer Großstädte, fielen die Kandidaten des oberitalienischen Sezessionistenbundes gründlich durch. Kleinlaut stufte „Liga“-Chef Umberto Bossi danach die Abspaltungsdrohung, die er vorher immer wieder als große Keule gegen Rom geschwungen hatte, zu einer bloßen „Regionalisierung“ herunter. Und erstmals suchte er nach Verbündeten. Kurz danach wurde der vormalige Kassierer der Vereinigung, Patelli, wegen der undeklarierten Annahme von 200.000 Mark vom Ferruzzikonzern verhaftet.

Und nun muß sich auch noch Bossi selbst wegen eben dieser Zuwendung verteidigen. Am Montag – als er dem Untersuchungsrichter in Mailand kleinlaut einen unter Mitgliedern zusammengekratzten Scheck über die fragliche Summe aushändigen wollte – hat die Staatsanwaltschaft formell ein Ermittlungsverfahren gegen Bossi eingeleitet.

Auch wenn sich die 200.000 Mark im Vergleich zu den Summen, die andere Politiker entgegengenommen haben (bis zu zweistelligen Millionen-Mark-Summen), geradezu lächerlich ausnehmen, müßte Bossi nun eigentlich zurücktreten. Denn sein Wort lautet, daß alle, die ein solches Verfahren am Hals haben, sofort aus dem Parlament ausscheiden müssen.

Tatsächlich versuchte Bossi, sich bereits vorige Woche beim Kongreß seiner „Liga“ bei Mailand aus der Geldannahme herauszureden. Er versuchte das mit Hilfe einer „Rekonstruktion“, die viele als eine Räuberpistole auffassen: Danach soll Kassierer Patelli 1992 das Geld eingestandenermaßen vom Generalmanager des Ferruzzikonzerns zugesteckt bekommen und es am Abend in den Tresor der Vereinigung in Mailand gelegt haben, ohne jemanden darüber zu informieren. In der Nacht sei dann jedoch eingebrochen worden, und das Geld war wieder futsch. Kassierer Patelli sei darüber so untröstlich gewesen, daß er gar niemandem nix sagen wollte, und so sei Bossi erst vor einer Woche von der Geldannahme unterrichtet worden.

Der Einbruch ist tatsächlich aktenkundig – die Anzeige liegt dem zuständigen Kommissariat seit jenem Tag vor. Doch nur wenige glauben, daß Patelli seinem Chef nur etwas von „zirka 15 Millionen Lire (umgerechnet 16.000 Mark) Schaden vorgemurmelt und im übrigen die Annahme der 200.000 Mark verschwiegen habe. Wahrscheinlicher klingen Gerüchte, die „Liga“ selbst habe den Einbruch vorgetäuscht, um nicht in den Strudel der „Schmiergeldrepublik“ hineingerissen zu werden, der die Altparteien des Landes aufs heftigste diskreditiert hat.

Doch könnte an der Erklärung Bossis etwas dran sein, auch wenn ihm nicht einmal wohlmeinende Kommentatoren wie der Leitartikler des Espresso, Giorgio Bocca, die Geschichte abnehmen. Neu entstandene Parteien werden in Italien seit jeher schnell in den altgewohnten Reigen der Kompromittierung hineinzuziehen versucht – davon können die in den 50er Jahren gegründeten Radikalen ebenso ein Lied singen wie die Grünen der 80er Jahre und die Anfang der 90er entstandene Antimafiaformation „La Rete“.

Wenn das nicht über blanke Schmiergelder ging, waren da immer noch die Geheimdienste, die allzu bereit waren, Aktionen oder Verdacht zu lancieren, in die hervorragende Persönlichkeiten der neuen Formationen verwickelt wurden – jedenfalls so lange, bis sich entweder die neue Gruppierung den Methoden des Machtkartells anpaßte oder bis der Wählerboom wieder vorbei war.

Für Italiens Öffentlichkeit erhärtet sich der Verdacht, daß auch Bossis „Liga“, jene selbsterklärte „einzig ernst zu nehmende, nicht korrupte Kraft Italiens“, aus ganz normalen PolitikerInnen besteht.