Maßlose Aktion gegen Flüchtlinge

■ Im brandenburgischen Diedersdorf durchsuchten 600 Polizisten ein Flüchtlingsheim mit 103 BewohnerInnen

Berlin (taz) – Selten standen Aufwand und Anlaß in einem krasseren Mißverhältnis: 600 Polizeibeamte – zum Teil mit Maschinenpistolen, Gummiknüppeln, Äxten und Beilen, aber auch mit Stahlhelmen und schußsicheren Westen bewaffnet – sollten zum großen Schlag gegen die Organisierte Kriminalität, gegen Schlepperbanden und gegen den Mißbrauch der sozialen Leistungen ausholen. Die aufwendige Aktion galt am Dienstag letzter Woche dem Flüchtlingsheim im brandenburgischen Diedersdorf. Verteilt auf vier Häuser wohnen dort derzeit 103 erwachsene Asylsuchende und rund 35 Kinder, unter anderem aus Vietnam, dem früheren Jugoslawien, aus dem Libanon, Nigeria und Äthiopien.

Vor Ort gab der ermittelnde Staatsanwalt Harald Pfeifer den Anlaß für die Durchsuchungsaktion bekannt: Das Asylbewerberheim diene als Unterschlupf für eine Bande, die in mehreren Fällen Tresore aus Firmen und Einrichtungen wie Schulen und Postämtern gestohlen habe. Vermutet würde auch, daß sich AusländerInnen illegal in dem Heim aufhalten könnten – beide Verdachtsmomente gehörten zum Bereich des Organisierten Verbrechens.

Haus um Haus wurde von sechs Uhr morgens an durchsucht. Die verängstigten BewohnerInnen durften die Zimmer nicht verlassen. Alle wurden überprüft, mußten sich nackt ausziehen; sie wurden fotografiert, zweimal wurden allen die Fingerabdrücke abgenommen. 13 Stunden dauerte die Aktion, am Ende verkündete die Staatsanwältin Petra Marx die Beschlagnahme von Bargeld, unverzollten Zigaretten und Unterhaltungselektronik; es sei auch eine scharfe Handgranate sichergestellt worden – 29 Verdächtigte wurden festgenommen.

Die Durchsuchung gilt der Staatsanwaltschaft auch eine Woche später noch als Erfolg. Gegen fünf der Festgenommenen wurde zwischenzeitlich Haftbefehl erlassen. Ein Nigerianer sitzt, weil er mehrfach unter falschem Namen die ihm zustehenden Gelder abkassierte. Der Besitzer der Handgranate soll wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz belangt werden. Ein Russe wurde wegen der unverzollten Zigaretten inhaftiert. Der Ausgangsverdacht „Organisierte Kriminalität“ führte nur zu zwei Haftbefehlen. Zwei der Bewohner werden beschuldigt, Angehörige der gesuchten Diebesbande zu sein. Von illegalen Schleppern fand sich aber offenbar keine Spur. Die Asylberaterin des Diakonischen Werkes Seelow, Sabine Grauel, verfolgte fassungslos die größte Durchsuchungsaktion, die jemals in einem Flüchtlingsheim durchgeführt wurde: „Werden in einem Dorf zehn Kriminelle vermutet, werden auch nicht von allen Einwohnern Fingerabdrücke registriert.“ Recht hat sie. Wolfgang Gast