Sanktionsdrohungen gegen den Atomzwerg

Nordkorea, das am 24. Dezember den höchsten Repräsentanten der UNO, Butros Ghali, empfängt, trotzt mit der Verschleierung seiner Atomwaffenambitionen den Mächtigen der Welt. Seit einigen Tagen ist in Washington von Sanktionen die Rede.

Amerika versteht sich aufs Geschenkemachen. Weihnachten vor einem Jahr war es die Aussicht auf eine in der Kriegsgeschichte einmalige „humanistische“ US-Intervention in Somalia, welche die Herzen aller Washingtoner Machtpolitiker höher schlagen und die Verbündeten in aller Welt ein Loblied auf die USA singen ließ. Doch nicht jedes Jahr läßt sich die Weltpolitik unterm Weihnachtsbaum so leicht präsentieren. Erst Somalia, dann sorgten „Jugoslawien“ und Haiti in diesem Jahr für Ernüchterung auch bei den überzeugtesten westlichen Interventionisten. Nur ein düsteres Licht im Fernen Osten bot sich während dieser Festtage an, um international Alarm zu schlagen. Tatsächlich trotzt auf der koreanischen Halbinsel die letzte lupenreine kommunistische Diktatur unter Führung des 81jährigen Kim Il Sung mit der Verschleierung ihrer Atomwaffenambitionen der ganzen Welt. Was blieb Bill Clinton also anderes übrig, als vorerst das kleine Nordkorea zum wichtigsten außenpolitischen Gegner fürs neue Jahr zu küren?

Seit dem Wochenende ist in Washington bereits von Sanktionen die Rede. Wenn es stimmt, daß die Nordkoreaner auch bei den jüngsten Begegnungen mit US-Diplomaten am Montag in New York nicht auf die amerikanischen Angebote eingegangen sind, dürfte sich der UNO-Weltsicherheitsrat innerhalb kurzer Zeit mit dem Fall Nordkorea beschäftigen. Dann endlich stände Pjöngjang dort, wo es nach Meinung von US-Diplomaten und ihres gut eingestimmten Pressekorps heute längst hingehört: nämlich im vollen internationalen Scheinwerferlicht.

Kein Geringerer als UN-Generalsekretär Butros Ghali macht sich deshalb noch in dieser Woche die Mühe, das für Ausländer nach wie vor verschlossene Land zu besuchen. „Ich bin Optimist und unterstütze die Gespräche zwischen den USA und Nordkorea“, teilte Butros Ghali am Dienstag in Tokio mit. „Deshalb halte ich mich bereit, die amerikanische Regierung über das nordkoreanische Interesse am weiteren Dialog zu informieren.“ Zwar ist Ghali seit 14 Jahren wieder der erste UN-Chef, der Nordkorea bereist, doch genauer läßt sich das Ziel seiner ungewissen Fahrt bisher kaum bestimmen. Auch bei dem zuletzt erfolglosen Ghali drängt sich deshalb der Eindruck auf, er wolle den publizitätsträchtigen Auftritt in Pjöngjang nutzen, um von wichtigeren Problemen abzulenken.

Anders als Somalia, Ex-Jugoslawien und Haiti verspricht Nordkorea sowohl für die UNO als auch für die US-Außenpolitik vertrautes Terrain. Schon die seit 1953 entlang der innerkoreanischen Grenze stationierten Blauhelmtruppen der UNO garantieren, daß hier keine „humanistischen“ Interventionen oder Lebensmittelbrücken gefragt sind. Am Grenzübergang von Pammunjon, den Ghali am Freitag passieren wird, zieht sich die letzte Grenze des Kalten Krieges. Zwei bis an die Zähne bewaffnete Armeen stehen sich hier in ständiger Einsatzbereitschaft gegenüber, so daß, wenn in Korea von Krieg gesprochen wird, ein mit allen technischen Mitteln geführter, womöglich atomarer Krieg gemeint ist, der die nur 40 Kilometer von der Grenzlinie entfernte 15- Millionen-Stadt Seoul sofort mit einbeziehen würde.

Schon beschwört der neue US- Generalstabschef John Shalikashvila die unmittelbare Gefahr einer Zerstörung Seouls. „Können Sie eine Invasion der südkoreanischen Hauptstadt durch Truppen des Nordens stoppen?“ wurde der ranghöchste US-Soldat gefragt. „Ich hoffe, daß wir es schaffen. Wir werden es so gut es geht versuchen“, entgegnete Shalikashvila mit vorgespielter Unsicherheit. Am nächten Tag sprach die Washington Post bereits von der „wichtigsten außenpolitischen Entscheidung seiner Amtszeit“, die Bill Clinton im Fall Nordkoreas nun erwarte – als müsse der US- Präsident heute noch Seoul vor dem Untergang bewahren.

Ausgerechnet das zunehmend verarmte Pjöngjang beschert dem friedlichen Feiertagsverlauf im Westen eine Portion Dramatik. Gerade hat dort die Diktatur der Kims (Vater, Sohn und Onkel) ihren ökonomischen Bankrott erstmals öffentlich eingestanden. Also bleibe den zum Sturz verdammten Alt-Kommunisten nur noch ihre Atombombe, lautet seither die westliche Gefahrendiagnose. In Wirklichkeit aber weiß niemand genau, was in Nordkorea passiert, wie fest das alte Regime im Sattel sitzt und wie weit seine Bemühungen zur Herstellung einer Atombombe gediehen sind. Alle der westlichen Öffentlichkeit zugänglichen Informationen beruhen letztlich auf Expertenmeinungen. Die stichhaltigsten Informationen über das nordkoreanische Atomprogramm stammen sämtlich vom CIA. So konnten noch in diesem Sommer unverifizierbare Beobachtungen japanischer Besucher in Nordkorea einen Medienwirbel über eine angebliche Hungersnot auslösen. Nichts davon konnte bestätigt werden, was die Berechtigung solcher Erregung wiederum nicht in Frage stellt.

Gleichwohl ist es in diesen Tagen die US-Regierung, die die nordkoreanische Krise von höchster Hand und ohne Gegenkontrolle durch die Medien oder andere Regierungen fast nach Belieben steuern kann. Es mag also sein, daß sich Kims Atomdrohung als bitterer Ernst erweist und Clinton recht hat, wenn er – unter anderem zur Rettung des Atomwaffensperrvertrags – in die Offensive geht. Doch der Eindruck vom billigen weltpolitischen Weihnachtszauber überwiegt. Georg Blume