„Hochgradig gestört“

■ Prozeß gegen Kindermörder fortgesetzt

Im Prozeß gegen den unter Mordanklage stehenden 33jährigen Gartenbauarbeiter, der im April dieses Jahres zwei seiner Kinder erwürgt hat, hat die Staatsanwaltschaft gestern eine Haftstrafe von 15 Jahren gefordert. Nach eigenem Bekunden hatte der Mann nach dem Auseinanderbrechen seiner Familie befürchtet, daß ihm die Kinder genommen werden könnten. Noch in der Tatnacht versuchte er erfolglos, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Stattdessen rief er die Polizei.

Die 13jährige Tochter des Angeklagten hatte die Erdrosselung ihrer sechsjährigen Schwester im Kinderzimmer mitansehen müssen und sagte vor der Schwurgerichtskammer als Zeugin aus. Auch den Tod des Vierjährigen konnte sie nicht verhindern. Das Mädchen hatte sich knapp der Strangulationsversuche ihres Vaters erwehren können, indem es versicherte: „Papi, ich bleib doch bei dir.“

Warum der Gartenbauhelfer diesen furchtbaren Ausweg aus seiner Situation wählte, konnte letztlich weder durch die kaltschnäuzige Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters erhellt werden noch durch die engagierte psychiatrische Sachverständige. Offenbar hatte der Verzweifelte den Eindruck, daß ihm der Boden unter den Füßen wegbrach: Seine Frau war zum x-ten Mal ins Frauenhaus geflohen. Die Gewalttätigkeit ihres Mannes, der wachsende Schuldenberg der Familie und acht erzwungene Abtreibungen hatten ihre Kraft aufgezehrt, die Ehe fortzusetzen. Sie reichte die Scheidung ein.

Als seine kleine Tochter dem Angeklagten nach einem Besuch bei der Mutter erzählte, die Kinder würden bald „weit wegfliegen und nicht mehr wiederkommen“, geriet er in eine existentiell bedrohliche Ausnahmesituation. Laut psychiatrischem Gutachten brauchte der schwache, gestörte Charakter andere Menschen als Stütze, sah seine Kinder unterbewußt gar als Teil seiner selbst an.

Er wollte mit der ältesten Tochter ein neues Leben voller Discobesuche und Reisen beginnen. Tötete er die Kinder, um sie nicht in die Obhut der Mutter gelangen zu lassen? Wollte er sie in den eigenen Tod mitnehmen?

Gutachterin Marianne Röhl bezeichnete ihn vor Gericht als „hochgradig gestörte Persönlichkeit“ mit paranoiden Gedanken und wenig Realitätssinn. Er sei eventuell als vermindert schuldfähig anzusehen. Der Verteidiger hofft, daß sein Mandant allenfalls wegen Todschlags verurteilt wird. Das Urteil soll am 3. Januar verkündet werden.

Paula Roosen